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Wie Kathi dem Leben zwischen Straße und Strafvollzug entkam

Artikel von Susanne Esch in der Kölnischen Rundschau

Obdachlosigkeit bei Frauen

Von Susanne Esch 01.12.2025, 11:00 Uhr

Mit 14 drogensüchtig, obdachlos und kriminell – nach Haftstrafen ist sie heute clean. Ihren Ausstieg schildert sie im Buch „Frauen zwischen Straße und Strafe.“

Kathis Drogenkarriere begann im Alter von 14 Jahren mit einer Heroin-Zigarette. Sie bekam sie von einer Freundin in der nahegelegenen Großstadt, wo sie häufiger unterwegs war, seitdem sie die Schule schwänzte. Der eigentliche Kipppunkt in ihrem Leben lag allerdings schon vorher: der Tod ihrer Großmutter. Kathis Mutter arbeitete in einem Kiosk und kam immer abends erst spät zurück, der Vater, der als Lkw-Fahrer arbeitete, war nur am Wochenende da. Und so wuchs Kathi bei der Großmutter auf. „Sie war wie meine Mama für mich. Sie war mein Ein und Alles“, erzählt Kathi, die eigentlich anders heißt, in einem Interview.

Es ist eines von acht Gesprächen, die die Kölnerin Christiane Niesel mit weiblichen Obdachlosen geführt und mit Petra Metzger in einem Buch veröffentlicht hat: „Frauen zwischen Straße und Strafe“ thematisiert schwierige Lebenssituationen, die sich bedingen: Obdachlosigkeit und Gefängnisstrafe. Wie schnell das eine zum anderen führt, wird in den Interviews deutlich.

Ein Schicksalsschlag und die folgende Sucht

Der Einstieg in die Abwärtsspirale ist oft ein Trauma oder ein Schicksalsschlag, wie bei Kathi. Sie verlor den Halt nach dem Verlust ihrer wichtigsten Bezugsperson. Das ständige Schulschwänzen bedingte mehrfache Schulwechsel. Die Endstation: eine Einrichtung für schwererziehbare Kinder. Kathi flüchtete sich in die Drogen, haute von zuhause ab und landete auf der Straße. Zum Heroin kam Kokain. Das Geld reichte nicht. So wurde Kathi kriminell.

Als sie im Alter von 14 Jahren das erste Mal in Jugendarrest kam, war das Strafregister bereits lang: Diebstähle, Drogenhandel, Drogeneinfuhr, Schwarzfahren, auch Körperverletzung. Sie hatte die Verkäuferinnen einer Parfümerie geschubst, wo sie vor Regen Schutz gesucht hatte. Die beiden hatten sie aufgefordert, den Laden zu verlassen. Sie habe randaliert, gibt Kathi im Interview zu, sie sei auf Entzug und aggressiv gewesen. Auf den ersten Jugendarrest folgten fünf weitere.

Neue Straftaten kamen hinzu. Die erste längere Haftstrafe verbüßt sie im Alter von 17 Jahren in der JVA Ossendorf. Gerade auf freiem Fuß – wurde sie wieder straffällig. „Da ich mit wenig Geld in die Obdachlosigkeit entlassen wurde, habe ich wieder Straftaten begangen“, schildert Kathi, „und wieder Drogen genommen.“ Erneut in Haft habe sie zwei Jahre gebettelt, in das Programm „Therapie statt Strafe“, aufgenommen zu werden und eine stationäre Drogentherapie in einer suchttherapeutischen Einrichtung zu erhalten.

Die Gefängnisleitung erlaubte aber nur die Verlegung in eine andere Gefängnisabteilung, in der Abhängige auf eine Therapie vorbereitet werden. Kathi weigerte sich: „In dieser Abteilung waren damals mehr Drogen unterwegs als in allen anderen“, erzählt sie. So erhielt sie eine ambulante Therapie, die Therapeuten wechselten ständig. Die Therapie scheiterte.

Mit Unterstützung gelang Kathi der Ausstieg

Kathi gelang am Ende dennoch der Ausstieg aus dem Pendeln zwischen Straße und Strafanstalt, nachdem sie in eine offene Gefängnisabteilung für Langzeitstrafen gewechselt war, wo sich die Rahmenbedingungen für sie verbesserten. Sie kam dort mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut klar, nahm an Sport- und Fitnessprogrammen teil, machte eine Therapie, einen Entzug, ihren Hauptschulabschluss, mit jeweils einer Eins in Mathe und Deutsch. Kathi lernte dort auch ihren Freund kennen. Ihr Freund hatte Rückhalt bei seinem Chef. Der gab dem jungen Mann nach dem Gefängnis und Entzug wieder Arbeit, stellte auch Kathi als Reinigungskraft an und besorgte dem Paar eine Wohnung.

Mittlerweile ist Kathi 27 Jahre alt und clean. Ihr Gespräch mit Christiane Niesel im Buch gibt tiefe Einblicke in Lebens- und Haftbedingungen, die Menschen retten oder tiefer in die Sucht treiben können. Co-Autorin Petra Metzger hat eines oft erlebt: Häufig sind es einzelne Menschen, die den Unterschied machen. Sie beleuchtet im Buch in weiteren Texten, woran es oft hapert, die Hindernisse im Hilfesystem, sinnlose Haftaufenthalte und fehlende Resozialisierung. Die Autorinnen zeigen zudem auf, wie Betroffenen besser geholfen werden könnte.

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»Manche tarnen sich, um zu überleben«

Artikel der Stadtrevue zum Buch Frauen zwischen Straße und Strafe

Petra Metzger über wohnungslose Frauen zwischen Sucht, Haft und Überlebens­strategien

07.11.2025 Politik Interview: Anja Albert Ausgabe: 11/2025

Frau Metzger, Sie und Christiane Niesel haben ein Buch über wohnungslose Frauen geschrieben. Was war der Anstoß dafür?

Das Thema treibt uns schon lange um. Wir wollen den Zusammenhang von Hafterfahrung, Obdachlosigkeit und Armut anhand von persönlichen Schicksalen untersuchen und den Menschen Einblick in das Leben der Frauen geben, die diese Erfahrungen gemacht haben. Von Christiane Niesel sind die Gespräche mit den Frauen und von mir die Hintergrundinformationen. Vor Jahren habe ich den Verein »Stattreisen Köln« mitgegründet und durch Führungen und Veröffentlichungen einen ­geschulten Blick auf die Stadt 
und ihre Veränderungen. 

Gab es eine Begegnung, die Sie besonders berührt hat? 

Christiane Niesel hat besonders das Schicksal einer Frau berührt, die mit Drogenproblemen kämpft, aber keine Therapie beginnen kann, weil bestimmte Auflagen das verhindern. Viele der wohnungslosen Frauen haben einen Suchthintergrund, meist Heroin, manchmal Alkohol. Wohnungs­losigkeit und Sucht hängen eng zusammen. Einige begannen erst auf der Straße, Drogen zu nehmen, um das Leben dort zu er­tragen. Andere kennen Sucht­probleme schon von ihren Eltern. Mich macht besonders betroffen, wenn Obdachlose in meinem ­Umfeld von einem auf den anderen Tag nicht mehr da sind und man nicht weiß, was mit ihnen passiert ist. Für mich gehören sie zur Nach­barschaft. 

Warum sind wohnungslose Frauen oft weniger sichtbar als Männer? 

Es gibt Frauen, denen man gar nicht ansieht, dass sie auf der ­Straße leben — sie tarnen sich, um nicht als obdachlos erkannt zu werden. Manche erkennt man erst auf den dritten Blick als Frau, weil sie sich in Decken und ­Mäntel ­hüllen. Andere schlafen vorübergehend bei Bekannten oder lassen sich auf Abhängig­keiten von ­Männern ein, oft ­gegen Gegen­leistungen. 

Gibt es Gemeinsamkeiten in den Biografien?

Wenn, dann sind es die harten Brüche: Schicksalsschläge, die das Leben zerstören. Eine Frau erzählte, dass sie aus einem bürgerlichen Elternhaus kommt, mit 17 vergewaltigt wurde, sich ein halbes Jahr im Keller ­versteckte, die Schule schwänzte und dann durch falsche Freunde in die Drogenszene geriet.  

Immer mehr ältere Frauen landen in der Obdachlosigkeit — oft, weil die Rente nicht reicht

Wie haben die Frauen ihre Haft erlebt?

Meist als Strafe, sehr selten auch als Schutz. Viele Frauen sind wegen kleiner Ver­gehen in Haft, zu kurz, um eine Ausbildung oder Entgiftung zu machen. Sie stehen danach wieder ohne Ausweis oder Unterkunft da und landen wieder bei alten Bekannten oder auf der Straße. Es braucht dringend mehr Begleitung nach der Haft, einen echten Anschluss. Zwar gibt es Projekte, aber zu wenige Plätze. 

Was würde den Frauen die ­Resozialisierung erleichtern?

Wohnraum ist das Wichtigste! Ein eigenes Zimmer, Schutz vor Gewalt. Zudem helfen kleine ­Arbeitsmöglichkeiten wie für die Straßenzeitung Draußenseiter. Da geht es um den Verdienst, aber auch um Zugehörigkeit und Kontakt. Fast ebenso wichtig sind ­Menschen, die sagen: »Ich gebe dir eine Chance.« In Dortmund, Hannover und Düsseldorf gibt es gute Projekte, die Räume und Betreuung für Frauen schaffen. In Köln gibt es hoffentlich bald ähnliches: Die Frauenstiftung um die Frauenärztin Maria Beckermann arbeitet gerade an einem Konzept für eine Art Gesundheitshaus für Frauen. 

Was gibt den Frauen Hoffnung?

Ehrlich gesagt, wenig. Viele haben Kinder, die woanders leben, und sie leiden darunter, keine »gute Mutter« gewesen zu sein. Wenige schöpfen Kraft aus der Sehnsucht, ihre Kinder wiederzusehen. Viele zieht es noch mehr runter. 

Es heißt oft, es könne jeden ­treffen, jeder könne auf der Straße landen. Stimmt das?

Schon eine Krankheit kann einen aus der Bahn werfen. Immer mehr ältere Frauen landen in der Obdachlosigkeit, weil die Rente nicht reicht. Und das ist erst der Anfang: Die Armutswelle rollt, die Mieten explodieren. Unser Buch soll ­Einblicke geben in Lebenswelten, die viele nicht kennen und vielleicht vorschnell urteilen. Armut und Obdachlosigkeit sind nicht gottgegeben. Auf politischer ­Ebene ist eine stärkere Gemeinwohlorientierung nötig. Zwischenmenschlich können auch kleine Gesten — ein Gespräch, ein Brötchen, ein Medikament, das man bezahlt — Großes bewirken. 

»Frauen zwischen Straße und Strafe« von Petra Metzger und Christiane ­Niesel erscheint demnächst im ­Weismann-Verlag. Die Bethe-Stiftung unterstützt die Publikation und verdoppelt alle Spenden, die bis zum 12.12. ­eingehen, bis zu einer Höhe von 6.000 Euro. Sollten mehr Spenden ­ein­gehen als zur Kostendeckung ­not­wendig ist, kommen sie einem Obdach­losenprojekt zugute.

Sparkasse KölnBonn:
IBAN DE 56 3705 0198 1901 2611 96
»Obdachlose mit Zukunft e. V.«
Verwendungszweck: Verdopplungsaktion Bethe 

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Buch widmet sich Frauen zwischen Obdachlosigkeit und Gefängnis

Bildschirmfoto des Kölner Stadtanzeigers Website

Wohnungslosigkeit in Köln

Von Uli Kreikebaum 15.10.2025, 18:00 Uhr

Die Kölnerinnen Petra Metzger und Christiane Niesel haben mit Betroffenen gesprochen und Ursachen recherchiert. Das Projekt ist auf Spenden angewiesen.

Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Köln steigt, fast die Hälfte von ihnen sind Frauen. Besonders schwierig ist es für ehemalige Häftlinge, eine Wohnung zu finden. Die Kölnerinnen Petra Metzger und Christiane Niesel nahmen diese Fakten zum Anlass, mit betroffenen Frauen zu sprechen und ein Buch darüber zu schreiben. „Frauen zwischen Straße und Strafe“ lautet der Titel. „Kaum jemand macht sich bewusst, was der Wohnungsmangel für Menschen bedeutet, die am Rand der Gesellschaft stehen“, sagt Metzger. Ehemalige Sträflinge hätten „kaum eine Chance“, je eine Wohnung zu finden. Relevant sei das Thema auch vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte über Verwahrlosung in der Kölner Innenstadt und im Besonderen die Situation am Neumarkt. „Viele der Frauen haben eine Suchtproblematik.“

Christiane Niesel hat sie getroffen, in Kalk, in Deutz, am Neumarkt, und mit ihnen gesprochen. Acht Frauen zwischen 23 und 45 Jahren schildern ihre Lebenssituation. Sie berichten, wie sie in die Obdachlosigkeit geraten sind, was das Gefängnis mit ihnen gemacht hat und worauf sie hoffen. Einige sind Mütter, einige haben lange ein bürgerliches Leben geführt, bevor sie in schwere Krisen geraten sind. Andere haben nie ein intaktes Zuhause kennengelernt, hatten alkoholkranke Väter und psychisch kranke Mütter.

Petra Metzger beleuchtet historische Hintergründe der Biografien wie Wohnungsnot, Hindernisse im Hilfesystem, fehlende Resozialisierung. Aus beiden Teilen der Recherche ergibt sich ein Bild, das verdeutlicht, warum es so schwer ist, aus dem Kreislauf von Haft und Wohnungslosigkeit auszubrechen. „Manche von ihnen suchen sich einen Partner, um sich auf der Straße sicherer zu fühlen. Andere meiden gerade Gesellschaft aus der Szene und kapseln sich ab. Das sind häufig ältere Frauen, die mit all ihrem Hab und Gut in einem Einkaufswagen unterwegs sind“, sagt Petra Metzger. Es gebe auch Frauen, denen man äußerlich ihre Obdachlosigkeit nicht ansehe. Das biete einen gewissen Schutz vor Gewalt. Vor allem Frauen würden auf der Straße oft Opfer sexueller Übergriffe.

Um als Buch veröffentlicht werden zu können, ist die Recherche auf Spenden angewiesen. Die Bethe-Stiftung von Roswitha und Erich Bethe unterstützt die Publikation und hat zugesagt, alle Spenden, die bis zum 12. Dezember eingehen, bis zu einer Höhe von 6000 Euro zu verdoppeln.

www.bethe-stiftung.org

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Andrea Karimé: Mein Feder-Bär und die Friedens-Maschini – Illustrationen Irem Kurt

Mein Feder Bär und die Freidens-Maschini

Ein Feder-Bär, ein Vogel Kusch und eine Katze in der Wolken-Limousini …

Öykü kann sich alles ausdenken, was sie nur will. Zum Beispiel ihren Freund, den Feder-Bär vom Meer, der tröstet, wärmt und summt. Mit ihm fliegt sie durch die Nächte zu Kindern in Not. Doch eines Tages wird das Herz des Feder-Bären so schwer, dass er nicht mehr aufstehen kann. Was aber hilft bei Herz-zu-schwer-Werden und Kriegen? Der Vogel Kusch weiß Bescheid. Die Friedens-Maschini muss her. Klein wie eine Clementini baut sie Brücken, spricht alle Sprachen und lässt immer ein Stück Frieden zurück. Doch die hat sich verkrochen, nur wo?

Ein zauberhafte, augenzwinkernd fantasievolle und sprachspielende Gedicht-Geschichte von Andrea Karimé über Freundschaft, Hoffnung, die große Sehnsucht nach Frieden und die Kraft der Poesie. Mit wunderschönen, lustigen und federleicht funkelnden Illustrationen von Irem Kurt. Ein Leseschatz für Kinder ab sechs Jahren und alle die mutmachende Geschichten lieben.

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Karin Monteiro-Zwahlen: Vor dem Aug der Stille – Ante el ojo del silencio

Gedichte über Migration – auf Deutsch und Spanisch
Ein Herz schlägt. Ein nomadisches Herz – voller Hoffnung.

In einer Welt, in der Migration zunehmend zur Projektionsfläche von Angst und Macht wird, widmet sich dieses zweisprachige Gedichtbuch dem, was oft übersehen wird: dem Inneren. Den Gefühlen, den Geschichten, den Wunden – und der Hoffnung, die Migrant*innen in ihren neuen Lebensorten säen.

Karin Monteiro-Zwahlen verwebt in ihren deutschen und spanischen Gedichten persönliche und kollektive Erfahrungen zu einer poetischen Ethnografie der Migration. Ihre Texte spüren jenen Zwischenräumen nach, in denen Fremdheit und Heimat ineinanderfließen – manchmal schmerzhaft, manchmal zärtlich, immer ehrlich.

Dieses Buch ist kein Bericht über Migration. Es ist ihr Klang. Ihre Stille. Ihr Herzschlag.

Hier direkt erhältlich

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Solo für Phyllis – Jetzt als Audiobuch

In einhundert beiläufigen Texten, Schnipseln, Gedichten begleitet Christoph Danne die Schwangerschaft seiner Partnerin – seit dem Zeitpunkt, an dem sie erfuhren, dass sie wahrscheinlich ein schwer krankes Kind zur Welt bringen würden. Vieles geriet ins Wanken in diesen Tagen, manches zerbrach. Danne schrieb Abend für Abend, Nacht für Nacht an gegen diese monströse, unbändige Furcht, barfuß in der Dunkelheit, gegen die Schlaflosigkeit, die Ohnmacht und die Gespenster.

Solo für Phyllis ist ein Manifest gegen die Angst, für das Leben.

Der Band erfuhr unmittelbar nach Erscheinen breite Resonanz und zahlreiche überragende Besprechungen in Presse und Rundfunk, mittlerweile liegt neben der zweiten Auflage nun auch eine Audiobuch Version vor.


Ausschnitte aus dem Audiobuch:

Wie es pocht

Die weißen Seiten

Wir müssen tanzen

Seit 153 Tagen


Die Musikerin
Die Musikerin und Komponistin Rike Casper hat sich ein Jahr lang in das Buch von Christoph Dannes vertieft und eine Beziehung zu den Protagonisten aufgebaut. Sie hat die Texte verinnerlicht und eine berührende, melancholische, oft aber auch positive und kraftvolle Musik dazu komponiert und damit eine ganz eigene Interpretation geschaffen.
Dem letzten Schliff erhielt das Audiobuch im Studio von Erik Matheisen.

Rike Casper, geb. in Düsseldorf, arbeitet als Musikerin und Komponistin. Unter dem Kunstbegriff muësie vertont sie seit 2017 Lyrik mit elektronischer Musik. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlerinnen, Autorinnen, Schauspieler*innen und Verlagen wurden seitdem viele Projekte realisiert, auf CD und digital veröffentlicht und in zahlreichen Konzerten auf der Bühne präsentiert.
u.a. ImPassionnément – Duo ElectraChic, Der Augenblick ist mein – Trio zeitzuzeit, Stimmen in der Luft – Rike Casper

https://www.rikecasper.de/projekte/
https://www.youtube.com/@casperschulz

Rike Caspar ist Mitglied der GEDOK A46 e.V.

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Eva Brunner: Zweitwald

Gedichte vom Alltag einer Frau, die sich mit ihrer Familie neu durch schwedische (Sprach-)Umgebungen bewegt, auf der Suche nach Gemeinsamkeit und Unterschieden trifft sie auf Paradiesvögel, Gürteltiere, Saunamützen und Minenschächte. Die Texte bewegen sich zwischen der landschaftlichen Weite und einer häuslichen Vertrautheit, die gleichzeitig beengt.

Zweitwald beschreibt Schweden als das Sehnsuchtsland, das es für viele Deutsche ist, unter anderen geprägt von der Kinderliteratur Astrid Lindgrens. Die Realität hält dieser Vorstellung teilweise stand, vor allem die Natur und die Architektur des Landes. Aber natürlich werden bei längerem Aufenthalt auch schlechte Seiten deutlich, die hier angesprochen werden. Ein weiteres Hauptthema ist die Zweisprachigkeit. Schwedisch stammt natürlich aus der gleichen Sprachfamilie wie das Deutsche, ist aber dennoch eine Fremdsprache, die auch einige „False Friends“ erhält und manchmal gerade durch kleine Abweichungen in der Rechtschreibung herausfordert. Die migrantische Perspektive wird hier aus privilegierter Position reflektiert.

Letzter Hauptstrang ist die kritische Betrachtung der klassischen Kleinfamilie, die durch die Distanz zu Familie und Freunden noch stärker auf sich zurückgeworfen ist.

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Anne Storch: Im Ziegelplattengrab

Wenn man bereit ist, sich von den starren Vorstellungen über literarische Genres zu lösen – zumindest während des Lesens dieses heiteren Buches, das trotz seiner tiefgreifenden historischen Wurzeln und beklemmenden Zukunftsvisionen etwas ganz Anderes bietet –, dann wird man etwas Erstaunliches erleben. Es ist weniger eine klassische Poesie, Prosa, Sachtext, Essay, Fotografie oder Rockmusik, sondern vielmehr eine Arbeit, die als Kunstwerk bezeichnet werden muss.

Wer sich mit einer entspannten Offenheit auf diese Lektüre einlässt, betritt eine traumhafte Landschaft, die Ziegelplatte für Ziegelplatte und  – auch auf einem Bein hüpfend – Zeile für Zeile erkundet werden kann. Es ist ein Erlebnis, das selbst eingefleischten Lesern bisher kaum begegnet ist – vor allem nicht in dieser sprachlichen Präzision.

Wenn man sich also von den gewohnten Themenparks der Kultur oder klassischen Reisen lösen möchte, sollte man das Lineare hinter sich lassen, sich die innere 3D-Brille (Herz, Geist und Verstand) aufsetzen und in diesen künstlerischen Resonanzraum eintauchen.

Die Autorin
Prof. Dr. Anne Storch, geboren 1968 in Frankfurt am Main, ist seit 2004 Professorin für Afrikanistik an der Universität zu Köln. Sie interessiert sich besonders für das Geheime und Spirituelle in der Sprache, kreatives Sprachhandeln, Indigene Theorien kommunikativer Praktiken und für die sich daraus immer wieder ergebende kritische Auseinandersetzung mit den kolonialistischen Grundlagen der Sprachwissenschaft und ihren patriarchalischen Ordnungen. In ihrer langjährigen Beschäftigung mit Minoritätensprachen setzt sie sich intensiv mit den Beziehungen zwischen Sprache und Migration auseinander. Zu ihren Veröffentlichungen zählen weiter Bücher über dekoloniale Linguistik, Tourismus und Ausbeutung, Gastfreundschaft und Heilung.

Das Buch
260 Seiten, mit 19 farbigen Abbildungen
ISBN 978-3-949168-11-6


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Wohnungsschlüssel statt Handschellen

Wohnungs- und obdachlose Menschen sind unter Strafgefangenen deutlich überrepräsentiert

Von Klaus Jünschke

Über Wohnungs- und Obdachlosigkeit wurde und wird relativ viel berichtet. Doch nur selten spielt dabei eine besonders betroffene Bevölkerungsgruppe eine Rolle: Strafgefangene. Im Zuge der Corona-Pandemie gab es dann Berichte, dass Justizvollzugsanstalten die Strafverbüßung vor allem von Gefangenen aussetzten, die zu relativ kurzen Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt waren, weil sie ihre Geldbußen nicht bezahlen konnten. Der Platz wurde für Isolierstationen gebraucht.  In diesem Zusammenhang wurde auch thematisiert, dass rund  20% der Betroffenen wohnungslose Menschen waren. Für uns war das Anlass, sich den Komplex Haft und Wohnungslosigkeit etwas genauer anzugucken.

Das Statistische Bundesamt zählte am 31. März 2020 in der Strafhaft und in der Sicherungsverwahrung 46.054 Frauen und Männer. Darunter waren 6.187 ohne festen Wohnsitz bzw. ohne Angaben, das sind über 13%. Da 2020 die Gesamtzahl der Wohnungslosen auf 417.000 geschätzt wurde, liegt eine extreme Überrepräsentation der inhaftierten Wohnungslosen vor. Zusätzlich wurden in der Untersuchungshaft am Stichtag 11.633 Personen gezählt. Da bei ihnen nicht registriert wurde, ob sie eine Wohnung hatten oder wohnungslos waren, kann nur gemutmaßt werden, dass auch unter ihnen viele Wohnungslose waren. Bei all diesen Stichtagszahlen muss beachtet werden, dass über das Jahr gesehen viele Menschen für nur wenige Tage, Wochen oder Monate in Haft kommen. In der Bundesrepublik kommen jährlich über 100.000 Menschen in eine der 172 Justizvollzugsanstalten. Über die Hälfte davon kommen nur in Haft, um eine Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen. Ihre Haft dauert durchschnittlich 38 Tage. 

In Köln hat die Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) aus Bremen eine repräsentative Befragung der Wohnungslosen durchgeführt. Dabei wurde bei 12% der Wohnungslosen ein Bezug zu Gefängnisaufenthalten festgestellt. Entweder ist die  Wohnung durch eine Inhaftierung verloren gegangen, oder jemand wurde durch die Wohnungslosigkeit straffällig und kam dadurch in Haft. 

Kaum Studien zu dem Thema

In der Regel befasst sich die Forschung zur Wohnungslosigkeit nicht mit dem Gefängnis. Gefangene gelten nicht als wohnungslos. Aber der Zusammenhang zwischen Haftaufenthalt und Wohnungslosigkeit wird nicht nur von der GISS mit ihrer Köln-Studie wahrgenommen. Es gibt bislang aber keine Studien, die analysieren, wie viele Inhaftierte bereits ohne Wohnung in Haft genommen werden, wie viele Gefangene im Verlauf ihres Haftaufenthalts ihre Wohnung verlieren und wie viele Frauen und Männer die Gefängnisse ohne Aussicht auf eine Wohnperspektive verlassen. Da kein Inhaftierter nach Verbüßung von üblicherweise zwei Dritteln seiner Strafe entlassen wird, wenn er keine Wohnung hat, ist auch nicht bekannt, wie viele eine vorzeitige Entlassung gar nicht erst beantragen und die Gesamtstrafe absitzen. 

Die heutigen Zellengefängnisse sind seit ihrer Entstehung vor 200 Jahren bis heute Armenhäuser geblieben. Seit der Strafrechtler Franz von Liszt vor über 100 Jahren erklärt hat, dass eine gute Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik ist, ist dieser erkannte Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalisierung ein Thema ohne praktische Konsequenzen. 

Die extreme Überrepräsentation von Wohnungslosen und Obdachlosen in den Gefängnissen wurde in den Corona-Jahren aber noch nicht skandalisiert, weil andere Berichte die breite Öffentlichkeit mehr interessierten. Dabei handelte es sich um Artikel von und Interviews mit Neurologen, Psychologen, Psychiatern und Haptikforschern, wobei letztere sich mit der Bedeutung von Berührungen befassten. Durch all diese Wissenschaftler/innen fand eine bis dahin noch nie dagewesene Aufklärung der deutschen Bevölkerung über die krankmachenden Folgen von Kontaktbeschränkungen statt. 

So stellte etwa Prof. Dr. Martin Grundwald von der Universität Leipzig fest: „Sicher ist, dass soziale Vereinsamung und fehlender zwischenmenschlicher Körperkontakt über einen längeren Zeitraum auf der psychischen und körperlichen Ebene zu relevanten Erkrankungen führen können.“ Und er ergänzt: „Insofern ist die körperliche Zurückhaltung aktuell gegenüber allem und jedem eine erhebliche Stresssituation, die nicht jeder gut verkraftet.“

Besonders deutlich wurde schließlich Prof. Dr. James Coan, Direktor des Virginia Affective Neuroscience Laboratory im Spiegel zitiert: „Wer einsam ist, wird öfter krank. Wunden heilen schlechter, das Immunsystem ist schwächer.“ Man sterbe früher, weil das Risiko für Herz-Kreislauf-Störungen, Diabetes und Depressionen steige, man werde eher dement: „Soziale Isolation tötet, das ist eine Tatsache.“ Nirgends wurde ein Bezug zum Gefängnis und der Unterbringung in Einzelzellen hergestellt. Das fanden wir skandalös. 

Als einer der Obdachlosen aus einem besetzten Haus in Köln zu einer Freiheitsstrafe wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurde, besuchten wir ihn in der JVA Rheinbach. Christiane Niesel, die noch nie in einem Knast war, schrieb ihre Eindrücke auf, und der Text wurde in der Kölner Straßenzeitung DRAUSSENSEITER veröffentlicht. So wurde uns bewusst, dass es über die Obdachlosen in Haft keine Texte gibt. 

Bei der Recherche zu diesem Thema fanden wir die Dissertation von Marion Müller: „Kriminalität, Kriminalisierung und Wohnungslosigkeit“, die sie 2006 vorgelegt hat. Sie kommt zu dem Schluss: „Die Heterogenität und Vielfältigkeit der Deutungs- und Handlungsweisen von wohnungslosen Personen im Umgang mit alltäglichen Extrembedingungen verweist ganz allgemein darauf, die Perspektive auf wohnungslose Menschen zurechtzurücken: Ein einseitiger, stigmatisierender Blickwinkel à la Wohnungslose trinken, betteln und klauen, ist nicht haltbar. Genauso wenig sollte man sich allerdings dazu verleiten lassen, ausschließlich einen mitleidigen Blickwinkel anzusetzen. Beide Sichtweisen versperren die Sicht auf wohnungslose Menschen als die individuellen Personen, die sie sind: weder Täter noch Opfer ihrer Situation, aber umrahmt von extremen Bedingungen, die ihren Handlungsentwürfen und -möglichkeiten entgegenstehen können.“ 

Knast und Straße als Drehtür

Der Rat der Stadt Köln hat am 2. Februar 2022 das Förderprogramm „Weiterentwicklung der Kölner Hilfen für Menschen im Kontext Obdachlosigkeit“ beschlossen.  Wir fühlten uns angesprochen und schrieben einen Antrag für unser Projekt „Ohne festen Wohnsitz in Haft“.

Von Oktober 2022 bis März 2023 leitete ich eine Erzählwerkstatt mit 12 Untersuchungsgefangenen  in der JVA Köln. In der JVA Siegburg konnte ich mit acht Gefangenen sprechen, die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßten. Das daraus entstandene Buch „Gefangen & Wohnungslos“ lässt auf über 400 Seiten Männer zu Wort kommen, die über ihre Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit vor der Haft, die Straffälligkeit, ihr Leben im Gefängnis und von ihren Wünschen und Hoffnungen für die Zeit nach der JVA erzählen. Christiane Niesel arbeitet mit Petra Metzger an einem weiteren Buch über wohnungslose Frauen mit Hafterfahrung, das demnächst auch im Kölner Weissmann Verlag erscheinen wird. 

Besonders erschütternd fand ich in den Gesprächen mit vier Langzeitobdachlosen, dass sie die Hälfte der vergangenen 20 – 30 Jahre immer wieder im Knast zubrachten. Ihre Lebensgeschichten stehen beispielhaft dafür, wie Polizei, Justiz und Strafvollzug soziale Konflikte zu Problemen der Überwachung und Kontrolle transformieren.

Seit 1845 kann man es besser wissen. Damals schrieben Friedrich Engels und Karl Marx in ihrem Buch „Die Heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik“ man müsse „nicht das Verbrechen am einzelnen strafen, sondern die antisozialen Geburtsstätten des Verbrechens zerstören und jedem den sozialen Raum für seine wesentliche Lebensäußerung geben. Wenn der Mensch von den Umständen gebildet wird, so muss man die Umstände menschlich bilden.“ 

Klaus Jünschke, Jahrgang 1947, ist in Köln im Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung aktiv. Er war wegen seiner Mitgliedschaft in der RAF (Rote Armee Fraktion) selbst 16 Jahre in Haft und hat anschließend zahlreiche Bücher und Artikel zur Situation von Gefangenen und zur Wohnungslosigkeit veröffentlicht.



MieterEcho 438 / Januar 2024

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Faces of St. Pauli im Hamburger Wochenblatt

Hamburger Wochenblatt Titelseite Ankündigung Ausstellung Andreas Muhme Faces of St. Paili

Urgesteine aus St. Pauli – Der Fotograf Andreas Muhme porträtiert Menschen aus St. Pauli und stellt im popstreet.shop aus.

Kiez-Urgesteine sind die meisten. Fußball-Legenden, Burlesque -Tänzerinnen, Künstler, Rotlicht-Größen, der Nachbar von nebenan. Vom Kellerkind bis zur Grande Dame. Alle Geschlechter, generationsübergreifend, 28 tolle Gesichter. Doppelportraits – halb verdeckt auf dem einen und klar erkennbar auf dem anderen Foto. Als Zeitdokument in schwarz-weiß portraitiert von Andreas Muhme.

Zur Ausstellungseröffnung im popstreet.shop sind mehrere der Porträtierten erschienen. „Pizzabanden-Chef“ Hodzy, der sich auf dem Foto Gummibänder übers Gesicht gezogen hat: „Für mich ist St. Pauli ein Auffangbecken. Hier kann man sein, wie man möchte, ohne schräg angeguckt zu werden.“ Popart und Pinup-Künstlerin Maiike Dirkx (Sexy Aufstand Reeperbahn): „Was für eine große Ehre, zu den Faces of St. Pauli zu gehören!“ Schauspielerin Lotti Strehlow (91) – Grande Dame von St. Pauli: „Erst wollte ich nicht mitmachen. Auf schwarz-weiß Fotos sieht man auch immer sehr hart aus. Aber jetzt bin ich froh, dass ich dabei bin.“

Blick hinter die Maske

Begonnen hat Muhme die Serie ein Jahr vor der Pandemie. Nicht alle der ausgestellten Fotos sind in dem Bildband „Faces of St. Pauli“ enthalten, viele hat er erst nach dem Erscheinen gemacht. Wie das Foto von FC St. Pauli-Kapitän Jackson Irvine, der mit einem Fußballschuh sein Gesicht halb verdeckt. Muhmes Lieblingsfoto? „Das ist Torben P. aus der Tortuga Bar: „Für die Aufnahme zog er plötzlich seine Zähne raus und lächelte mich mit drei Stumpen an.“

Begeistert von der Ausstellung zeigt sich auch die ehemalige TV-Lady Victoria Voncampe: „Das sind ganz tolle Arbeiten.“ Muhme: „Wenn du nach St. Pauli kommst, siehst du nur Neonlicht und Glamour. St. Pauli hat eine Maske auf. Deshalb haben die Menschen auf den Fotos auch eine Maske auf. Wenn du dich dann mit ihnen auseinandersetzt, nehmen sie sie irgendwann ab. Dann sieht man die Lebenslinien. Das ehrliche St. Pauli.“

Text: Dagmar Gehm