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Anne Storch: Im Ziegelplattengrab

Wenn man bereit ist, sich von den starren Vorstellungen über literarische Genres zu lösen – zumindest während des Lesens dieses heiteren Buches, das trotz seiner tiefgreifenden historischen Wurzeln und beklemmenden Zukunftsvisionen etwas ganz Anderes bietet –, dann wird man etwas Erstaunliches erleben. Es ist weniger eine klassische Poesie, Prosa, Sachtext, Essay, Fotografie oder Rockmusik, sondern vielmehr eine Arbeit, die als Kunstwerk bezeichnet werden muss.

Wer sich mit einer entspannten Offenheit auf diese Lektüre einlässt, betritt eine traumhafte Landschaft, die Ziegelplatte für Ziegelplatte und  – auch auf einem Bein hüpfend – Zeile für Zeile erkundet werden kann. Es ist ein Erlebnis, das selbst eingefleischten Lesern bisher kaum begegnet ist – vor allem nicht in dieser sprachlichen Präzision.

Wenn man sich also von den gewohnten Themenparks der Kultur oder klassischen Reisen lösen möchte, sollte man das Lineare hinter sich lassen, sich die innere 3D-Brille (Herz, Geist und Verstand) aufsetzen und in diesen künstlerischen Resonanzraum eintauchen.

Die Autorin
Prof. Dr. Anne Storch, geboren 1968 in Frankfurt am Main, ist seit 2004 Professorin für Afrikanistik an der Universität zu Köln. Sie interessiert sich besonders für das Geheime und Spirituelle in der Sprache, kreatives Sprachhandeln, Indigene Theorien kommunikativer Praktiken und für die sich daraus immer wieder ergebende kritische Auseinandersetzung mit den kolonialistischen Grundlagen der Sprachwissenschaft und ihren patriarchalischen Ordnungen. In ihrer langjährigen Beschäftigung mit Minoritätensprachen setzt sie sich intensiv mit den Beziehungen zwischen Sprache und Migration auseinander. Zu ihren Veröffentlichungen zählen weiter Bücher über dekoloniale Linguistik, Tourismus und Ausbeutung, Gastfreundschaft und Heilung.

Das Buch
260 Seiten, mit 19 farbigen Abbildungen
ISBN 978-3-949168-11-6


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Wohnungsschlüssel statt Handschellen

Wohnungs- und obdachlose Menschen sind unter Strafgefangenen deutlich überrepräsentiert

Von Klaus Jünschke

Über Wohnungs- und Obdachlosigkeit wurde und wird relativ viel berichtet. Doch nur selten spielt dabei eine besonders betroffene Bevölkerungsgruppe eine Rolle: Strafgefangene. Im Zuge der Corona-Pandemie gab es dann Berichte, dass Justizvollzugsanstalten die Strafverbüßung vor allem von Gefangenen aussetzten, die zu relativ kurzen Ersatzfreiheitsstrafen verurteilt waren, weil sie ihre Geldbußen nicht bezahlen konnten. Der Platz wurde für Isolierstationen gebraucht.  In diesem Zusammenhang wurde auch thematisiert, dass rund  20% der Betroffenen wohnungslose Menschen waren. Für uns war das Anlass, sich den Komplex Haft und Wohnungslosigkeit etwas genauer anzugucken.

Das Statistische Bundesamt zählte am 31. März 2020 in der Strafhaft und in der Sicherungsverwahrung 46.054 Frauen und Männer. Darunter waren 6.187 ohne festen Wohnsitz bzw. ohne Angaben, das sind über 13%. Da 2020 die Gesamtzahl der Wohnungslosen auf 417.000 geschätzt wurde, liegt eine extreme Überrepräsentation der inhaftierten Wohnungslosen vor. Zusätzlich wurden in der Untersuchungshaft am Stichtag 11.633 Personen gezählt. Da bei ihnen nicht registriert wurde, ob sie eine Wohnung hatten oder wohnungslos waren, kann nur gemutmaßt werden, dass auch unter ihnen viele Wohnungslose waren. Bei all diesen Stichtagszahlen muss beachtet werden, dass über das Jahr gesehen viele Menschen für nur wenige Tage, Wochen oder Monate in Haft kommen. In der Bundesrepublik kommen jährlich über 100.000 Menschen in eine der 172 Justizvollzugsanstalten. Über die Hälfte davon kommen nur in Haft, um eine Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen. Ihre Haft dauert durchschnittlich 38 Tage. 

In Köln hat die Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) aus Bremen eine repräsentative Befragung der Wohnungslosen durchgeführt. Dabei wurde bei 12% der Wohnungslosen ein Bezug zu Gefängnisaufenthalten festgestellt. Entweder ist die  Wohnung durch eine Inhaftierung verloren gegangen, oder jemand wurde durch die Wohnungslosigkeit straffällig und kam dadurch in Haft. 

Kaum Studien zu dem Thema

In der Regel befasst sich die Forschung zur Wohnungslosigkeit nicht mit dem Gefängnis. Gefangene gelten nicht als wohnungslos. Aber der Zusammenhang zwischen Haftaufenthalt und Wohnungslosigkeit wird nicht nur von der GISS mit ihrer Köln-Studie wahrgenommen. Es gibt bislang aber keine Studien, die analysieren, wie viele Inhaftierte bereits ohne Wohnung in Haft genommen werden, wie viele Gefangene im Verlauf ihres Haftaufenthalts ihre Wohnung verlieren und wie viele Frauen und Männer die Gefängnisse ohne Aussicht auf eine Wohnperspektive verlassen. Da kein Inhaftierter nach Verbüßung von üblicherweise zwei Dritteln seiner Strafe entlassen wird, wenn er keine Wohnung hat, ist auch nicht bekannt, wie viele eine vorzeitige Entlassung gar nicht erst beantragen und die Gesamtstrafe absitzen. 

Die heutigen Zellengefängnisse sind seit ihrer Entstehung vor 200 Jahren bis heute Armenhäuser geblieben. Seit der Strafrechtler Franz von Liszt vor über 100 Jahren erklärt hat, dass eine gute Sozialpolitik die beste Kriminalpolitik ist, ist dieser erkannte Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalisierung ein Thema ohne praktische Konsequenzen. 

Die extreme Überrepräsentation von Wohnungslosen und Obdachlosen in den Gefängnissen wurde in den Corona-Jahren aber noch nicht skandalisiert, weil andere Berichte die breite Öffentlichkeit mehr interessierten. Dabei handelte es sich um Artikel von und Interviews mit Neurologen, Psychologen, Psychiatern und Haptikforschern, wobei letztere sich mit der Bedeutung von Berührungen befassten. Durch all diese Wissenschaftler/innen fand eine bis dahin noch nie dagewesene Aufklärung der deutschen Bevölkerung über die krankmachenden Folgen von Kontaktbeschränkungen statt. 

So stellte etwa Prof. Dr. Martin Grundwald von der Universität Leipzig fest: „Sicher ist, dass soziale Vereinsamung und fehlender zwischenmenschlicher Körperkontakt über einen längeren Zeitraum auf der psychischen und körperlichen Ebene zu relevanten Erkrankungen führen können.“ Und er ergänzt: „Insofern ist die körperliche Zurückhaltung aktuell gegenüber allem und jedem eine erhebliche Stresssituation, die nicht jeder gut verkraftet.“

Besonders deutlich wurde schließlich Prof. Dr. James Coan, Direktor des Virginia Affective Neuroscience Laboratory im Spiegel zitiert: „Wer einsam ist, wird öfter krank. Wunden heilen schlechter, das Immunsystem ist schwächer.“ Man sterbe früher, weil das Risiko für Herz-Kreislauf-Störungen, Diabetes und Depressionen steige, man werde eher dement: „Soziale Isolation tötet, das ist eine Tatsache.“ Nirgends wurde ein Bezug zum Gefängnis und der Unterbringung in Einzelzellen hergestellt. Das fanden wir skandalös. 

Als einer der Obdachlosen aus einem besetzten Haus in Köln zu einer Freiheitsstrafe wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurde, besuchten wir ihn in der JVA Rheinbach. Christiane Niesel, die noch nie in einem Knast war, schrieb ihre Eindrücke auf, und der Text wurde in der Kölner Straßenzeitung DRAUSSENSEITER veröffentlicht. So wurde uns bewusst, dass es über die Obdachlosen in Haft keine Texte gibt. 

Bei der Recherche zu diesem Thema fanden wir die Dissertation von Marion Müller: „Kriminalität, Kriminalisierung und Wohnungslosigkeit“, die sie 2006 vorgelegt hat. Sie kommt zu dem Schluss: „Die Heterogenität und Vielfältigkeit der Deutungs- und Handlungsweisen von wohnungslosen Personen im Umgang mit alltäglichen Extrembedingungen verweist ganz allgemein darauf, die Perspektive auf wohnungslose Menschen zurechtzurücken: Ein einseitiger, stigmatisierender Blickwinkel à la Wohnungslose trinken, betteln und klauen, ist nicht haltbar. Genauso wenig sollte man sich allerdings dazu verleiten lassen, ausschließlich einen mitleidigen Blickwinkel anzusetzen. Beide Sichtweisen versperren die Sicht auf wohnungslose Menschen als die individuellen Personen, die sie sind: weder Täter noch Opfer ihrer Situation, aber umrahmt von extremen Bedingungen, die ihren Handlungsentwürfen und -möglichkeiten entgegenstehen können.“ 

Knast und Straße als Drehtür

Der Rat der Stadt Köln hat am 2. Februar 2022 das Förderprogramm „Weiterentwicklung der Kölner Hilfen für Menschen im Kontext Obdachlosigkeit“ beschlossen.  Wir fühlten uns angesprochen und schrieben einen Antrag für unser Projekt „Ohne festen Wohnsitz in Haft“.

Von Oktober 2022 bis März 2023 leitete ich eine Erzählwerkstatt mit 12 Untersuchungsgefangenen  in der JVA Köln. In der JVA Siegburg konnte ich mit acht Gefangenen sprechen, die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßten. Das daraus entstandene Buch „Gefangen & Wohnungslos“ lässt auf über 400 Seiten Männer zu Wort kommen, die über ihre Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit vor der Haft, die Straffälligkeit, ihr Leben im Gefängnis und von ihren Wünschen und Hoffnungen für die Zeit nach der JVA erzählen. Christiane Niesel arbeitet mit Petra Metzger an einem weiteren Buch über wohnungslose Frauen mit Hafterfahrung, das demnächst auch im Kölner Weissmann Verlag erscheinen wird. 

Besonders erschütternd fand ich in den Gesprächen mit vier Langzeitobdachlosen, dass sie die Hälfte der vergangenen 20 – 30 Jahre immer wieder im Knast zubrachten. Ihre Lebensgeschichten stehen beispielhaft dafür, wie Polizei, Justiz und Strafvollzug soziale Konflikte zu Problemen der Überwachung und Kontrolle transformieren.

Seit 1845 kann man es besser wissen. Damals schrieben Friedrich Engels und Karl Marx in ihrem Buch „Die Heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik“ man müsse „nicht das Verbrechen am einzelnen strafen, sondern die antisozialen Geburtsstätten des Verbrechens zerstören und jedem den sozialen Raum für seine wesentliche Lebensäußerung geben. Wenn der Mensch von den Umständen gebildet wird, so muss man die Umstände menschlich bilden.“ 

Klaus Jünschke, Jahrgang 1947, ist in Köln im Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung aktiv. Er war wegen seiner Mitgliedschaft in der RAF (Rote Armee Fraktion) selbst 16 Jahre in Haft und hat anschließend zahlreiche Bücher und Artikel zur Situation von Gefangenen und zur Wohnungslosigkeit veröffentlicht.



MieterEcho 438 / Januar 2024

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Faces of St. Pauli im Hamburger Wochenblatt

Hamburger Wochenblatt Titelseite Ankündigung Ausstellung Andreas Muhme Faces of St. Paili

Urgesteine aus St. Pauli – Der Fotograf Andreas Muhme porträtiert Menschen aus St. Pauli und stellt im popstreet.shop aus.

Kiez-Urgesteine sind die meisten. Fußball-Legenden, Burlesque -Tänzerinnen, Künstler, Rotlicht-Größen, der Nachbar von nebenan. Vom Kellerkind bis zur Grande Dame. Alle Geschlechter, generationsübergreifend, 28 tolle Gesichter. Doppelportraits – halb verdeckt auf dem einen und klar erkennbar auf dem anderen Foto. Als Zeitdokument in schwarz-weiß portraitiert von Andreas Muhme.

Zur Ausstellungseröffnung im popstreet.shop sind mehrere der Porträtierten erschienen. „Pizzabanden-Chef“ Hodzy, der sich auf dem Foto Gummibänder übers Gesicht gezogen hat: „Für mich ist St. Pauli ein Auffangbecken. Hier kann man sein, wie man möchte, ohne schräg angeguckt zu werden.“ Popart und Pinup-Künstlerin Maiike Dirkx (Sexy Aufstand Reeperbahn): „Was für eine große Ehre, zu den Faces of St. Pauli zu gehören!“ Schauspielerin Lotti Strehlow (91) – Grande Dame von St. Pauli: „Erst wollte ich nicht mitmachen. Auf schwarz-weiß Fotos sieht man auch immer sehr hart aus. Aber jetzt bin ich froh, dass ich dabei bin.“

Blick hinter die Maske

Begonnen hat Muhme die Serie ein Jahr vor der Pandemie. Nicht alle der ausgestellten Fotos sind in dem Bildband „Faces of St. Pauli“ enthalten, viele hat er erst nach dem Erscheinen gemacht. Wie das Foto von FC St. Pauli-Kapitän Jackson Irvine, der mit einem Fußballschuh sein Gesicht halb verdeckt. Muhmes Lieblingsfoto? „Das ist Torben P. aus der Tortuga Bar: „Für die Aufnahme zog er plötzlich seine Zähne raus und lächelte mich mit drei Stumpen an.“

Begeistert von der Ausstellung zeigt sich auch die ehemalige TV-Lady Victoria Voncampe: „Das sind ganz tolle Arbeiten.“ Muhme: „Wenn du nach St. Pauli kommst, siehst du nur Neonlicht und Glamour. St. Pauli hat eine Maske auf. Deshalb haben die Menschen auf den Fotos auch eine Maske auf. Wenn du dich dann mit ihnen auseinandersetzt, nehmen sie sie irgendwann ab. Dann sieht man die Lebenslinien. Das ehrliche St. Pauli.“

Text: Dagmar Gehm

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„Iran ist immer ein Zufluchtsort für Juden gewesen“ – Mohsen Banaie im Interview mit NIW

Unser Autor Mohsen Banaie, iranischer Arzt und Sprachwissenschaftler hat mit Bart Schut und Ruben Gischler von NIW – Nieuw Israelitisch Weekblad ein Interview geführt. Banaie tritt gegen die heiligen Kühe seines Heimatlandes an. So auch jetzt, wo er dem jüdischen Staat in seinem Buch „Israel auf iranisch“ Tribut zollt. „In Israel haben sich mein deutsches und mein iranisches Ich getroffen”, sagt er.

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Gefangen & Wohnungslos

Gefangen & Wohnungslos

Klaus JünschkeGefangen & Wohnungslos
Gespräche mit Obdachlosen in Haft

Klaus Jünschke war monatelang in den Justizvollzugsanstalten Köln, Siegburg und Rheinbach und hat dort mit Häftlingen gesprochen, die vor ihrer Haft wohnungs- bzw. obdachlos waren – und danach mit größter Wahrscheinlichkeit auch wieder sind.

Aus ihren Erzählungen über die Gründe, die zur Inhaftierung führten, aus den Berichten über die Haftsituation und die Zukunftsaussichten ist das Buch „Gefangen & Wohnungslos“ entstanden. Es informiert die Öffentlichkeit über eine soziale Notlage, deren Behebung längst überfällig ist.

Seit Jahren dokumentiert das Statistische Bundesamt, aber weitgehend von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen:  Wohnungslose sind die extrem überrepräsentierte soziale Gruppe in deutschen Gefängnissen. Das kommt auch – aber nicht nur – von der Ersatzfreiheitsstrafe, die diejenigen ins Gefängnis bringt, die eine Geldstrafe nicht bezahlt haben. Da die Bundesregierung gerade beschlossen hat, die Ersatzfreiheitsstrafe nicht abzuschaffen, sondern nur die Straflänge zu halbieren, wird sich daran nichts ändern. Denn die oft nur geringen Geldstrafen können vor allem Obdachlose nicht zahlen.

In den letzten zehn Jahren sind die Obdachlosenzahlen europaweit um 70 % gestiegenen. So forderte das EU-Parlament schon Ende 2020 alle Mitgliedstaaten auf, die Obdachlosigkeit bis 2030 zu beseitigen ua mit diesen Hinweisen:

  • Obdachlosigkeit ist eine der schwersten Formen von Armut, die durch ein Zusammenspiel struktureller, institutioneller und persönlicher Faktoren verursacht wird 
  • EU-Länder sollen Obdachlosigkeit entkriminalisieren und gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Diensten wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialleistungen gewähren.

Auf Wohnungslosigkeit muss mit Wohnungsschlüsseln und nicht mit Handschellen reagiert werden. Wohnen ist ein Menschenrecht.

Gefördert von der Stadt Köln, der Arche für Obdachlose e.V. und dem Mach Mit e.V.
466 Seiten, mit 70 Abbildungen
25 Euro
ISBN 978-3-949168-10-9

Das Buch erscheint im Kölner Weissmann Verlag und kann hier direkt vorbestellt werden.

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Solo für Phyllis im Podcast „Troststoff“

Cover Podcast Troststoff Christoph Danne Solo für Phyllis

Unser Autor Christoph Danne hat zu seinem Buch „Solo für Phyllis“ eine Folge mit Winnie Henscher in ihrem Podcast „Troststoff“ aufgenommen.

Ein Paar erwartet ein Kind. Es soll Phyllis heißen. Bei der pränataldiagnotischen Untersuchung zeigen die schwarz-weiß-Bilder das Schwarz-Weiß der diagnostischen Welt: einen schwerer Herzfehler und möglicherweise eine schwere geistige Beeinträchtigung. Die Ärzte raten zum Abbruch. Die Eltern, Christoph Danne und seine Partnerin, lehnen das ab.

Über diese Zeit hat Christoph ein Buch geschrieben: “Solo für Phyllis”. Ein Troststoff-Gespräch über Angst und Hoffnung, Kastanien und den ersten Menschen im Weltraum, über schöne Begegnungen vor Wollläden und vor allem über Liebe.

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Einblicke in die Herzen der Menschen einer siebenbürgischen Stadt

Klausenburg/Cluj – eine literarische Nostalgie

Eine Rezension von Katharina Biegger

Fragend nimmt die Leserin das hübsch gemachte Buch mit dem rätselhaften, deutsch-rumänisch verschränkten Titel in die Hand: Was ist das? Welcher literarischen Gat­tung ist es zuzuordnen? Was will es von mir?

Das Buch ist ungewöhnlich. Kein (Heimat-)Roman, keine Lokalgeschichte, schon gar kein Reiseführer. Es ist ein Liebhaberprojekt, initiiert von dem Kölner Arzt Peter Rosenthal, der in Rumänien geboren wurde, in den 1970er-Jahren nach Deutschland kam und sich in Köln niedergelassen hat. Cluj ( dt. Klausenburg, ung. Kolozs­var) ist Partnerstadt Kölns, wo auch der Weissmann Ver­lag situiert ist, an dessen Gründung Peter Rosenthal be­teiligt war. Denn er ist nicht nur als Internist tätig. Gerne schreibt, publiziert, dichtet, übersetzt er. So hat er bei ei­ner Lesung in Klausenburg Mitglieder der rumänischen Schriftstellervereinigung kennengelernt, mit denen er dieses Buchprojekt entwickelt hat. Die Sammlung hand­le vom gemeinsamen europäischen Traum: ,,Es gibt ja kaum eine europäischere Stadt als Klausenburg”, meint Rosenthal, ,,die Römer waren schon da, die Germanen, die Sachsen und die Ungarn.” Absicht des Buches sei es, ,,eine Europäisierung in umgekehrter Richtung” zu be­treiben – Wissenstransfer nicht wie in früheren Epochen einsinnig von West nach Ost. Vielmehr wolle er „den Menschen im Westen einen Einblick in die Herzen der Menschen eines osteuropäischen Landes, in diesem Fall Rumänien, geben” (S. 13).

Knapp zwanzig einzelne Beiträge sind in dem Band enthalten: kleine Dichtungen, Beobachtungen und Im­pressionen, die mehr oder weniger explizit zu der Stadt im Nordwesten Rumäniens in Beziehung stehen. Alle sind sie konsequent jeweils in Deutsch und Rumänisch abgedruckt ( einmal auch in drei Versionen, da das Un­garische nicht ganz vergessen werden soll); übersetzt hat – auf zuweilen recht eigenwillige, interessante Weise – der Initiator und Herausgeber Rosenthal, der auch einen Rahmen aus Einleitung und Nachwort beigegeben hat, worin er bekennt, er selbst sei mit Klausenburg eigent­lich gar nicht besonders vertraut. Die 15 zumeist rumäni­schen Autorinnen und Autoren, die zu diesem Buch bei­getragen haben, sind oft aus den umliegenden Dörfern in das Zentrum der Region gekommen, wenn sie nicht schon geborene Klausenburger sind; viele haben Schu­le und Studium dort absolviert, sind danach vielleicht weitergezogen nach Bukarest oder nach Beer Sheva – oder sie sind für immer hängen geblieben, wie etwa Irina Petra: ,,Ich weiß nicht, wann ich mich in Cluj verliebt habe, aber eines ist sicher, ich gehöre zu Jenen, die es nie verlassen werden.” Unter den jeweils höchstens fünf Sei­ten umfassenden Beiträgen findet sich Nachdenkliches, Persönliches, auch Kurioses, Ironisches, Verträumtes. In einem meiner Lieblingsstücke, karg und absurd wie die Zeiten vor 1989, geht es um das Rezept eines Fisch­gerichtes – da der Fisch jedoch fehlt, bleibt es bei der Beilage, also Kartoffeln mit Salz (Autor Victor Tarinä). Einer Reisereportage am nächsten kommt das Portrait des Stadtteils Märä?ti durch Markus Bauer. Besonders stimmungsvoll, ja philosophisch ist der Beitrag von Ion Murean: über die Lichter, die in Siebenbürgen zu Aller­seelen (,,Luminatia”) auf die Gräber der Toten getragen werden.

Ein paar leicht zu eliminierende kleine ( oft Tipp- oder Druck-) Fehler hätte ein professionelleres Lektorat ver­meiden können. Gewünscht hätte ich mir auch, dass das Entstehungsjahr der abgedruckten Stücke vermerkt wor­den wäre, wo es sich (wie in einigen Fällen kenntlich) nicht um Originalbeiträge für diese Publikation handelt. Weiter hätte mir gefallen, wenn die beigegebenen, atmo­sphärischen schwarz-weiß Fotos Klausenburger Örtlich­keiten zeigten, die in dem einen oder anderen Beitrag explizit genannt und beschrieben werden (z.B. die Do­nath-Straße oder eben Märäti). Aber das wäre der Gat­tung „Reiseführer” vielleicht schon zu nahe gekommen.

Die Beschäftigung mit diesem sympathischen Buch hat jedenfalls meine Lust geweckt, Klausenburg mit sei­nem „merkwürdigen Lokalpatriotismus des Fernwehs” einmal wieder zu besuchen!

Diese Rezension ist erschienen in „Deutsch-Rumänische Hefte – Caiete Germano-Romane“, Jahrgang XXVI • Heft 1 • Sommer 2023

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Barbara Pevelings Lyrikdebüt: ich will den blitz nicht verpassen

Barbara Peveling – ich will den blitz nicht verpassen

Barbara Pevelings Lyrikdebüt „ich will dem blitz nicht verpassen“ widmet sich der Herausforderung gesellschaftlicher Transformationen der Gegenwart, dem Hinterfragen von sozialen Rollen und Zuschreibungen, von Geschlechterbeziehung und ihren Begegnungen, als auch der Folgen der Energiekrise, sowie neuen Choreographien des Sozialen. René Chars Lyrik dient dabei als programmatischer Ansatz: Durch den revolutionären Impetus wird der leidenschaftliche Bezug der Dichtung zur Gegenwart neu verhandelt, dabei stehen aktuelle Thematiken wie metoo, toxische Männlichkeit, Regretting Motherhood, die dysfunktionale Kleinfamilie, als auch Klimawandel und Migration im Mittelpunkt. Die Gedichte von Barbara Peveling sind ein zarter, als auch wütender Abgesang auf den etablierten Habitus einer Nachkriegsgesellschaft, die mit der gegenwärtigen Generation ihren Abschluss findet und nach neuen Definitionen sucht. Barbara Peveling gibt dieser Suche eine lyrische Sprache. Nach dem Vorbild von Annie Ernaux wird die Autorin dabei die Ethnologin ihrer selbst. Es ist die Geschichte einer Frau, die Abschied nimmt von der binär geordneten Welt, die ihre Existenz formte und die heute mitten im Leben stehend die eigene Identität hinterfragt, um einen neuen Anfang zu wagen.

Barbara Peveling, geboren 1974 in Siegen, promovierte Ethnologin, lebt in Köln und Paris. Sie publizierte mehrere Prosastücke und Poesie in verschiedenen Zeitschriften, darunter Akzente Zeitschrift für Literatur. 2006 nahm sie am 14. Open Mike teil. „Wir Glückspilze“, ihr erster Roman, erschien bei Nagel & Kimche

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Rezension der Lesung mit Mohsen Banaie und seinem Buch „Israel auf iranisch“ (Moderation Christoph Danne)

Kölnische Rundschau Kultur Artikel von Rolf-Rüdiger Hamacher über Mohsen Banaies Buch Israel auf iranisch

Kölnische Rundschau / Kultur / 30.03.2023 / schreibt Rolf Rüdiger Hamacher über das Buch „Israel auf iranisch“ von Mohsen Banaie: „In „Israel auf iranisch“ erzählt der Kölner Autor Mohsen Banaie von einer ungewöhnlichen Reise“

Ein Buch, wie es aktueller kaum sein kann: Im Iran wüten die Revolutionsgarden gegen die eigene Bevölkerung, in Israel versucht gerade eine rechtsextreme Regierung die Demokratie auszuhöhlen. Beide Länder sind in inniger Feindschaft verbunden. Dennoch möchte Mohsen Banaie eine Brücke bauen zwischen den beiden Ländern, die unterschiedlicher nicht sein können – und sich doch so ähnlich sind.

„Eine Arbeit zur Völkerverständigung“, nennt der 1965 in Teheran geborene Autor sein Buch „Israel auf iranisch“, das er jetzt mit Christoph Danne im Literaturhaus vorstellte. An dessen Beginn steht eine lange „Reise“, die mit der islamischen Revolution 1979 beginnt, während der er sich einer oppositionellen Gruppierung anschloss. 1985 flüchtete er über die Türkei und die DDR in die Bundesrepublik – immer den Ratschlag seines Vaters im Kopf: „Versuche von den Deutschen zu lernen, für was sie in aller Welt berühmt sind: ihre Pünktlichkeit und Ordentlichkeit!“

Banaie studierte in Mainz Medizin, schrieb sich nebenbei im Fach „Vergleichende Sprachwissenschaften“ ein und hatte in der Begegnung mit dem jüdischen Professor Josef Elfenbein sein Schlüsselerlebnis: „Ich fing langsam an zu begreifen, dass nicht die Menschen selbst, sondern die Worte den Lauf der Geschichte bestimmten. Das Wort war die Macht. Wie es schon in der christlichen Bibel steht: Am Anfang war das Wort!“

Unter dem Pseudonym Mazdak Bamdadan veröffentlichte Mohsen Banaie seit Anfang der 2000-Jahre mehr als 250 Artikel in persischer Sprache zu sozialen, politischen, religionskritischen und historischen Themen:„Besonders viel Aufsehen erregte 2010 meine harsche Kritik an der israelischen Palästinapolitik, in der ich das Vorgehen des Staates mit Apartheid verglichen hatte.“

Schon damals reifte Banaies Entschluss, mit seiner Frau Sahar nach Israel zu reisen, „den wir dann aber erst 2018 umsetzten, mit der bangen Frage im Hinterkopf, wie wir als deutsche Staatsbürger mit dem Pass-Eintrag Geburtsort Teheran empfangen würden“. Und tatsächlich waren die ersten Eindrücke ernüchternd. „Als Deutsche wurde uns vor die Füße gespuckt, als Iraner wurden wir willkommen geheißen.“

„Habt ihr denn Angst gehabt, euch in Jerusalem zu bewegen?“ will Danne wissen. „Vielleicht waren die 14 Tage ja auch zu kurz, und wir haben manche gefährliche Situation nicht erkannt“, erinnert sich Banaie, um dann doch eine skurrile Situation zu erzählen, in der er seit seiner Flucht aus dem Iran zum ersten Mal wieder Todesangst gehabt habe: „Wir bleiben mit unserem Leihwagen in einer Prozession ultra-orthodoxer Juden stecken, und die Situation schaukelte sich hoch, bis sie erkannten, dass wir Gois waren, die, im Gegensatz zu ihnen, am Sabbat Autofahren dürfen.“

Zum Schluss der interessanten Einsichten in das Leben eines Wanderers zwischen mehreren Kulturen will Danne noch wissen, ob Banaie denn manchmal so etwas wie Heimweh empfinde: „Fühlen sie sich in ihrer Wahlheimat Deutschland wohl?“Dessen Antwort:„Offensichtlich, meine Frau nennt mich immer ,Friedrich Wilhelm’ – deutscher geht’s wohl nicht!“