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Presse und Politik über „RatSchläge“

„RatSchläge legt den Finger in die Wunde. Wohnungsnot, Obdachlosigkeit, ihre Auswirkungen, all das wird beim Namen genannt, nicht nur Zahlen, sondern Schicksale. Und zudem ein warmherziges Buch über Engagement, Kampf, Hartnäckigkeit.“

Jörg Depel, Geschäftsführer Mieterverein Köln

„Der Wohnungsbau muss in Köln wieder Priorität genießen. Dafür brauchen wir eine durchdachte, interdisziplinäre und umfassende Strategie. Denn gemeinsam können wir es schaffen, Obdachlosigkeit zu überwinden. Die RatSchläge bringen dazu notwendige Informationen und Vorschläge.“

Jochen Ott (SPD), Mitglied des Landtag

„Das Buch ist ein Beitrag wider die Gewöhnung an dieses Leid, es fordert politische Strategien statt Almosen. Es ist keine wissenschaftliche oder hoch anspruchsvolle Auseinandersetzung, mehr ein plakatives Schlaglicht auf schmerzhafte Versäumnisse. Den Autoren ist ein lesenswertes Zeitdokument gelungen.“

Helmut Frangenberg, Kölner StadtAnzeiger 3.12.20


„Das Buch ist keineswegs ein Rechenschaftsbericht der Organisatoren der Mahnwache. Vielmehr ist es eine Anklage der großen Mehrheit der politischen Entscheidungs- und Funktionsträger, die ihrer wohlfeilen Kritik an der wachsenden Obdachlosigkeit keine Taten folgen lässt.“

Junge Welt 21.12.20

„RatSchläge liefert mehr als eine Dokumentation der Mahnwache, es stellt verschiedene Kölner Initiativen vor, etwa die Sozialistische Selbsthilfe (SSM) oder Obdachlose mit Zukunft (OmZ). Auch der Streit um den Abriss der Häuser in der Egonstraße in Stammheim, für viele ein Symbol für die verfehlte Wohnungspolitik, wird nachgezeichnet“

StadtRevue 1/21


„In dem Buch wird nicht nur über den Verlauf der Protestaktion anschaulich berichtet, sondern auch über andere Konflikte von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit. Lesenswert und auch gut zum Verschenken.“

Platzjabbeck 12/20

„Ich freue mich über das Buch. Danke. Und ich freue mich natürlich über die ‚historischen‘ Erfolge, die ihr erreicht habt und sicherlich auch weiterhin erreichen werdet. Es ist viel zu bewegen.“

Ursula Christiansen, 1990–2006 Sozialdezernentin in Köln

„Es gibt viele interessante Beiträge, z.B. Aus- und Überflüge, Binnenansichten, Meinungsäußerungen und Schlussfolgerungen mit denen Politik und Gesellschaft sich beschäftigen müssen. Es ist jedenfalls ein vielfältiges Buch zum Thema ‚Wohnung-Notstand‘.“

Marion Heuser, Mitglied des Rates, Die Grünen
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„Ballermann 5.30 Uhr“ – Statt Rausch nur Ruhe

Uli Kreikebaum schreibt im Kölner Stadtanzeiger über unser neues Fotobuch über die wegen Covid-19 geschlossene Amüsiermeile am Strand von s’Arenal bei Palma auf der spanischen Insel Mallorca.

Ballermann 5.30 Uhr

Ballermann 5.30 Uhr heisst das Buch, für das der Kölner Stefan Flach im Sommer 2020 den Strandabschnitt […] fotografiert hat“ schreibt Uli Kreikebaum in seinem Artikel im Kölner Stadtanzeiger am traurigsten Rosenmontag. Fast richtig, denn das Buch heißt Ballermann5Uhr30 🙂

Wir freuen uns trotzdem sehr über den sehr schön geschriebenen Artikel.


Statt Rausch nur Ruhe 

Der Kölner Stefan Flach hat den „Ballermann“ in Corona-Zeiten fotografiert   

In der Isolation gewinnen Gedanken an Ausschweifung mit jedem Tag an Reiz. Die soziale Monotonie und Monogamie möge eines Tages in eine Explosion der Lebensfreude münden, Zeiten von Rausch und Selbstvergessen. Zwischen alles an den Rand drängenden Corona- Nachrichten, Videokonferenzen, Lockdown-Verlängerungen und maskierten Einkäufen guckt man beim Irrlichtern durch die Stadt in die stummen Kneipen und wünscht sich, mit irgendwem im Arm auf den Tischen zu tanzen, jetzt, sofort. Karneval, Oktoberfest und Ballermann ohne Menschen, das ist die Katharsis einer Gesellschaft, die nach langem Wachstumsrausch bewusstlos geworden ist. 

„Ballermann5Uhr30“,heißt das Buch, für das der Kölner Stefan Flach im Sommer 2020 den Strandabschnitt Balnéario in Palma de Mallorca besucht hat. In schmucklosen Bildern hat der Fotograf an einemSommermorgen festgehalten, dass ein Ort, der sich über gemeinschaftliches Erleben definiert, ohne Menschen nicht existiert. Der Über-Ort Ballermann, an dem zeitgleich Tausende Menschen tranken, tanzten, Wunden leckten, ist zum Nicht-Ort geworden. Ohne Partymeute sind die teutonischen Tempel des Exzesses namens Bierkönig, Oberbayern und Megapark nutzlos. Ordinäre Lokalnamen wie „Wurstkaiser“, „Grillmüller“ oder „Schinkenbude“ klingen in derVergnügungs-Steppe plötzlich ironisch. Der Strandabschnitt mit all seinem kontrollverlustigen Leben, in dem die einen Trost, die anderen nur Tristesse fanden, ist jetzt ein Symbol für jenen Teil des Lebens, der von modernen Gesellschaften am liebsten verdrängt wird – sei es durch Rausch, Technologien oder jedwede Verjüngungsversprechen– und sich mit dem Virus plötzlich wieder eingenistet hat: DenTod. 

Der menschenleere Ballermann bietet in der Corona-Pandemie Raum für Träume und Alpträume, Assoziationen und Transitgedanken. Der vulgäre Mythos wird zu einem „mystischen Ort“, wie Flach in seinem Vorwort schreibt, an dem sich „neue Sichtweisen und Lesarten eröffnen“mögen. Wenn man der „Mallorca-Zeitung“ glauben darf, ist die Wortschöpfung Ballermann dem Kölner Kegelverein FC Merowinger zu verdanken, der 1972 zum ersten Mal an die Playa de Palma flog, und den Balnéario nach einigen Bieren zum Ballermann taufte, um die schwere Zunge zu schonen.

Reich geworden ist mit dem Begriff der Bayer André Engelhardt, der sich die Marke „Ballermann“ vor gut 20 Jahren schützen ließ – für ätherische Öle genauso wie für Christbaumbeleuchtungen oder Spielfilme; mit Lizenzrechten und auch dank Hunderter Klagen wurde er zum Millionär. Im Vorwort des Buchs definiert Engelhardt den Ballermann als „Gemeinschaft von netten Leuten, die gerne feiern und miteinander Spaß haben wollen“, egal ob auf Mallorca, im Westerwald oder beim Schlagermove in Hamburg. 

Im Nachwort denkt der Soziologe und Unterhaltungswissenschaftler Sacha Szabo darüber nach, warum der um Affektkontrolle bemühte Homo sapiens sich von vermeintlich vulgären Party-Touristen abgrenzt, warum er Überschreitungen wie am Ballermann, die er selbst anderweitig sublimiert, sozial zu sanktionieren versucht. Neben ganzseitigen Fotos finden sich in dem Bildband Zitate von Partyhelden wie Mickie Krause („Sei gepriesen für Urlaub und Safari! Sei gepriesen für Wodka und Bacardi! Sei gepriesen für Opel und Ferrari! Sei gepriesen, denn Du bist wunderbar!“), Sätze von Tourismusmanagern, Journalisten, Schlagermusikern, Mallorquinern, Auszüge aus Speisekarten und Romanen. 

Stefan Flach, der sagt, mit Neugier, Skepsis und Vorurteilen zum Ballermann gereist zu sein, hat eine etwas wilde Mischung zusammengestellt, die gemeinsammit seinen Fotos der menschenleeren Partymeile ihren Zweck erfüllt: Statt zu werten, soll sich jeder selbst seine Gedanken machen. Über Schlager, Sangria und Sonnenbrand, Gemeinschaft und Vereinzelung, Affektkontrolle, Zivilisationsauswüchse und die Sehnsucht nach Kontrollverlust. Die Fallhöhe ist gewaltig am Ballermann in Zeiten der Corona-Krise. Das Buch eröffnet ein Spannungsfeld, das über den Ort hinausweist.  

Zum Buch : Ballermann5Uhr30, fotografiert von Stefan Flach, ist das dritte Buch aus dem Kölner Weissmann Verlag. Zuvor erschienen sind der Erzählband „Nachts nicht weit von wo“ und „RatSchläge – Gegen Wohnungsnot und Stadtraumzerstörung in Köln“.

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Lost Place – Ballermann

Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Jan-Christopher Sierks in der Medienbranche. Vom positiven und negativen Wahnsinn auf Verlags- und Agenturseite – bis hin zu den täglichen Highlights sowie Pleiten im Business – hat er in dieser Zeit sehr viel Außergewöhnliches erlebt.

Jan-Christopher Sierks: „Ich hatte jahrelang selbst einen Verlag in Hamburg und gab unter anderem ein Luxus-Printmagazin heraus. In der PR betreute ich die Rolling Stones, den Papst und Versace für Projekte. Für einen Autohersteller war ich in mehreren Ländern in TV Werbespots zu sehen.“

In seinem privaten Blog www.sierks.com veröffentlicht er als Male-Blogger mit seinen Editors‘ Choices ausgewählte Themen, gesammelte Erfahrungen, Informationen zu aktuellen Projekten (wie Shootings, Drehs und Veröffentlichungen) oder Dinge aus dem Büro-Alltag.

Ballermann, das war eigentlich immer so: Hoch die Tassen, Sonnenbrand und Fußballtrikots soweit das Auge reicht.

Jan-Christopher Sierks

https://www.sierks.com/blog/2021/gelesen-lost-place-ballermann

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sichtbar.art über Ballermann5Uhr30

sichtbar.art ist eine kuratierte Plattform für Fotografie und richtet sich an eine anspruchsvolle, internationale Leserschaft, mit Interesse an Fotografie und Kunst. Unter der Leserschaft finden sich professionelle Fotografinnen und Fotografen, Sammlerinnen und Sammler, Kuratorinnen und Kuratoren, Fotografie- und Kunstbegeisterte, PR-Fachleute, Influencer und Blogger, Medienvertreterinnen und Medienvertreter, Journalistinnen und Journalisten und Redakteurinnen und Redakteure.

Miryam Abebe
Freie Kuratorin für Fotografie und Bloggerin schreibt in Ihrem Blog sichtbar.art über Ballermann5Uhr30:

Ausgerechnet im Juli 2020 besucht Stefan Flach zum ersten Mal den Ballermann® auf Mallorca. Eigentlich wäre Hochsaison und man würde früh morgens die letzten Partygäste auf dem Weg ins Hotel antreffen, mittags die von der Sonne krebsrotgefärbten und braungebrannten Touristen am Stand liegen sehen und nachmittags die lachenden und für den Abend Pläne schmiedenden, leicht angesäuselten Jungs und Mädels an den Standbars hören. Nicht so im Sommer 2020 …

“Ballermann 5 Uhr 30” zeigt leere Bars, Clubs und Strandabschnitte – neue Lost Places… Corona hat vieles verändert, die Massnahmen dagegen haben die Tourismusbranche hart getroffen und vielen den Boden unter den Füssen weggezogen.

Vielleicht macht diese Situation ein Umdenken möglich und Mallorca wird wieder mallorquinischer …

In “Ballermann 5 Uhr 30” kommt auch André Engelhardt der Erfinder des Ballermanns zu Wort: […] Ballermann findet im Grunde genommen nach wie vor in den Herzen und in der Vorstellung der Menschen statt. Ich muss den Leuten nur einen Ort geben, wo das stattfindet. Dann funktioniert das weiterhin. Man feiert sich selbst.

Stefan Flach hat nicht nur verlassene und verriegelte Orte vor die Linse genommen, sondern auch verschiedene Protagonisten*innen zu Wort kommen lassen; den Erfinder des Ballermanns André Engelhardt, die Die Welt Journalistin Marion Müller-Roth oder die mallorquinische Angestellte im Tourismusbereich Natalia Docolomansky. Es sind Worte, die einen nachdenklich stimmen oder ein Kopfschütteln bewirken.

Stefan Flach (*1966) ist in Köln geboren, wo er heute lebt und arbeitet. Nach dem Besuch der Berufsgrundschule für Druck und Papier, der Fachoberschule für Gestaltung und des Zivildienstes im Bereich der Altenpflege erlangte er ein Diplom in Grafik Design an der Fachhochschule Niederrhein in Krefeld. Seit 2002 leitet er das Design Büro filter design und ist freischaffender Grafik Designer.

Zum Blog sichtbar.art geht es hier.

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#zusammenlesen – Dorothea Renckhoff empfiehlt: Peter Rosenthal, Nachts nicht weit von wo

Durch das sehr dunkle Cover sollte man sich nicht abschrecken lassen, geht es hier doch um die Nacht – und als einziger kleiner Farbfleck leuchtet das Wort „Nachts“ grünlich aus dem Schwarzweißfoto des Titels. Das 2019 im Kölner Weissmann Verlag erschienene Buch versammelt Lyrik und kurze Prosatexte sowie Fotos zum Thema. Wer mit Blick auf die meisten Veröffentlichungen von Rosenthal annimmt, es handle sich um Impressionen und Momentaufnahmen aus Ehrenfeld, hat nur teilweise Recht. Am treffendsten ist die hier präsentierte reizvolle Mischung durch das Nach(t)wort charakterisiert: „Dieses Buch ist aus einer Inspiration entstanden deren Traumgebilde aus Ehrenfeld hinauswuchs und mit den Beiträgen von Autoren und Fotografen aus Köln, ganz Deutschland, Schweiz, Rumänien, Ungarn, Polen, Litauen, Irland, Iran und den U.S.A. eine Gestalt annahm die für Jedermann nicht weit – von wo eigentlich – sein könnte.“

Die Fotos – viele in Schwarzweiß, aber auch solche in Farbe – sind ohne Ausnahme von begeisternder Qualität (Bildredaktion Michael Weißmann – von ihm stammt das Gros der Aufnahmen – und Stefan Flach) und fesseln den Blick nicht nur sofort, sondern jedes für sich auf lange. Denn jedes erzählt eine ganze Geschichte. Ob es die vielen leeren Flaschen am Straßenrand sind (Stefan Flach), das trostlose Hotelzimmer mit Rosentapete und Rosendruck auf der Wäsche vom Stockbett (Adel Naseri), oder der kriegsversehrte Häuserstumpf mit den vermauerten Fensterlöchern neben der geschlossenen Druckerei, in fahles gelbes Licht getaucht (Burkhardt Schmidt), um nur drei Beispiele zu nennen: Alle saugen den Betrachter in sich hinein und schlagen ihn in Bann.

Nicht anders die Texte. Thematisch und stilistisch ist der Bogen ebenso weit gespannt wie die Topographie der Herkunftsländer ihrer Autoren. Da steht „Das letzte Rotlicht“, der heiter-ironische Rückblick auf einen einst bekannten Puff in direkter Ehrenfelder Nachbarschaft von Margit Hähner, in einer Reihe mit „Morgengrauen“, dem erschütternden Gedicht der in Polen geborenen, heute in U. S. A. lebenden Susanne Piontek, in einer Reihe mit einer gespenstischen Passage aus „Nachts unter der steinernen Brücke“ des Prager Dichters Leo Perutz. In einer Reihe mit einem Auszug aus dem erinnerungsirrlichternden Romanprojekt „Die Überlebenden“ der Schweizer Autorin Gabrielle Alioth, die heute in Irland lebt, in einer Reihe mit „Amca“, Peter Rosenthals Porträt eines herzkranken alten Weißclowns, in einer Reihe mit … mit… einer Vielzahl spannender Miniaturen, die jede eine Welt in sich tragen.

Es sind Texte und Fotos, die man vor dem Einschlafen genießen kann, die aber auch die Kraft haben, über Phasen der Schlaflosigkeit hinweg zu tragen. Dies Buch ist ein guter Begleiter durch schwarze Nächte. Dabei lässt Rosenthal uns nicht im Dunkel zurück: Die Nacht dauert bei ihm nicht ewig, am Ende kommen Dämmerung und Morgengrauen und mit ihnen die Erkenntnis, welche Vielschichtigkeit sich hier zwischen zwei Buchdeckeln zusammenfindet. Nicht zuletzt deshalb, weil viele der Fotografen und Autoren nicht einem einzigen Land zuzuordnen sind, sondern eher dem Land zwischen den Sprachen. Nicht umsonst zitiert Rosenthal im Titel Stefan Zweig, der auf die Bemerkung, das von ihm zum Exil gewählte Brasilien sei doch sehr weit weg, mit der Frage antwortete: Weit von wo?

Dorothea Renckhoff lebt als Autorin in Köln und schreibt Märchen, Opernlibretti und Romane.

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Wenn es Nacht wird in Ehrenfeld

Artikel im Kölner Stadtanzeiger

Der Band „Nachts nicht weit von wo“ vereint Prosa, Lyrik und Fotografien – Der schillernde Stadtteil im Kölner Westen steht im Mittelpunkt, viele Texte weisen aber auch über ihn hinaus. Von Clemens Schminke, Kölner Stadt-Anzeiger –  Donnerstag, 12. März 2020 

Einmal im Jahr hatte Francesco Caroli, den Fans als den „berühmtesten Weißclown der Welt“ feierten, einen Termin in einer Arztpraxis in Ehrenfeld, bei Internist Dr. Peter Rosenthal. Seit der Mediziner herausgefunden hatte, dass die Beinödeme seines Patienten die Nebenwirkung eines Herzmittels waren und dieses gegen ein anderes ausgetauscht hatte, kam der Clown, der lange zum Ensemble des Circus Roncalli gehörte, stets an einem Montag zur Kontrolle. Man begrüßte sich auf Ungarisch; Caroli war als Kind mit seiner Familie, die für ihre Pferdedressuren bekannt war, oft in Ungarn gewesen, und Rosenthal beherrschte die Sprache als jemand, der bis zu seinem zwölften Lebensjahr im Banat gelebt hatte. 

Ein melancholischer Grundzug prägt das Buch 

Wie der Arzt den Zirkusstar, der vor 16 Jahren gestorben ist, erlebt hat, ist in dem Text festgehalten, der zu den ersten Beiträgen im Band „Nachts nicht weit von wo“ gehört. Ähnlich wie „Venedig ist auch nicht viel größer als Ehrenfeld“, das Rosenthal 2017 veröffentlicht hat, ist das Buch eine Sammlung von Prosa, Lyrik und Fotografien. Es ist das erste Werk aus dem Programm des jungen Weissmann Verlags. 

Verbindendes Thema des neuen Bands ist die Nacht mit all ihren Facetten. „Dieses Buch ist aus einer Inspiration entstanden, deren Traumgebilde aus Ehrenfeld hinauswuchs …“, heißt es im Nachwort. Eine Vielzahl der Texte weist über den Stadtteil im Kölner Westen hinaus – anders als die 76 stimmungsvollen, gut ausgewählten Fotografien, die fast ausschließlich nächtliche Szenen in Ehrenfeld vor Augen führen, wiederholt mit dem künstlerischen Mittel der Verwischung. 

So mancher visuelle Eindruck, ob in einer Kneipe oder auf einer Straße, hätte sich auch anderswo in Köln oder einer anderen Stadt einfangen lassen; vieles aber lässt sich klar verorten, von den Balloni-Hallen über den Bahnhof Ehrenfeld, das eingerüstete 4711-Hochhaus und das Freiluft-Kulturzentrum Odonien bis zum beliebten Imbiss „Kebapland“ an der Venloer Straße. Die meisten Bilder stammen von Michael Weißmann, der den Verlag zusammen mit Rosenthal und Grafik Designer Stefan Flach 2019 gegründet hat. 

In den Textbeiträgen wird der heimische Schauplatz zum Beispiel im Auszug aus dem „Ehrenfeldkrimi“ von Ulrike Anna Bleier kenntlich, wo ein Kind seine Mutter verliert am Ehrenfelder Bahnhof strandet und schließlich aufs Geratewohl in einen Bus einsteigt. Rosenthal selber, der 2001 mit „Entlang der Venloer Straße“ sein erstes Buch veröffentlicht hat, bannt im Gedicht „Ameisenhotel“ Impressionen von der Körnerstraße und schildert in einem kurzen Text, welche Gedanken einem Vortragsreisenden in der Kölner U-Bahn durch den Kopf gehen und – wie er am Morgen danach im Hostel „Weltempfänger“ aufwacht. Und die Ehrenfelder Schriftstellerin Margit Hähner schildert aus der Sicht einer Nachbarin, wie sie den Betrieb des Bordells „Römerbad“ in der Piusstraße erlebt hat von dessen Provisionen viele Jahre lang so mancher Kölner Taxifahrer profitiert hat und das sich heute in Bickendorf befindet. 

Fotografen und Autoren aus mehreren Ländern machen mit 

Die Subjektivität der Blicke und ein melancholischer Grundzug prägen das von Stefan Flach schön gestaltete Buch, (…). Weil das vielgestaltige „Traumgebilde“ aus Ehrenfeld hinausgewachsen ist, können auch Orte wie Berlin, Moskau, Barcelona und Peking vorkommen. Denn letztlich ist die Nacht das entscheidende Thema, die Nacht und vielerlei, was sich damit – prosaisch oder poetisch – assoziieren lässt, Sternenhimmel und Lichtsmog, Traum und Vergänglichkeit, Sehnsucht und Angst, Sex und Wehmut. Von Zitaten über kurze Erzählungen bis hin zu Gedichten: Vieles fügt sich im Zusammenspiel mit den Bildern stimmig ein, anderes wirkt etwas willkürlich dazu genommen in diesem Kaleidoskop, das Autoren und Fotografen aus mehreren Ländern zusammenbringt, darunter ausländische Schriftsteller, die dem Exil PEN angehören. Ungefähr in der Mitte des Bands findet sich dieses Gedicht von Rosenthal, dem er den Titel „Zeit“ gegeben hat:

„Zeit zur Rückkehr
In die majestätische
Beliebigkeit Ehrenfelds,
Viertel großer Nachkriegsversuchungen,
Illusion einer verwundeten Stadt,
Aus der verlorene Träume
Dich ansehen.“ 

Peter Rosenthal

Peter Rosenthal (Hrsg.): Nachts nicht weit von wo. 160Seiten, Weissmann Verlag, 19,95 Euro

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„Auf der dunklen Seite Ehrenfelds“

Artikel in der Kölnischen Rundschau vom 6.3.2020

„Nachts nicht weit von wo“ ist die erste Veröffentlichung des neu gegründeten Weissmann-Verlages von Hans-Willi Hermans, Kölnische Rundschau – Freitag, 6. März 2020

Sie ist nicht einfach der Tag in einer mangelhaft beleuchteten Version, sie ist eine Sphäre mit ganz eigenen Gesetzen: In der Nacht werden die Konturen unscharf, die Zuschreibungen, Bedeutungen ändern sich. Wer sich hinaus in die Nacht begibt, setzt sich dem Geheimnisvollen, dem Unberechenbaren aus, mag auf Poesie stoßen. Peter Rosenthal beschreibt den Gegensatz am Anfang des Bandes „Nachts nicht weit von wo“ anschaulich in der Geschichte vom Clown Francesco, der nachmittags in die Praxis des Autors an der Venloer Straße zu Blutabnahme und EKG kommt, abends aber den Arzt in seinem Zirkus begrüßt, in einer Welt, die mit einem „magischen Schleier“ umhüllt ist. 

Paar auf dem Bordstein 

Gedichte, Aphorismen und Prosa-Formate der unterschiedlichsten Autoren sowie eine Vielzahl von Fotografien versammelt die erste Veröffentlichung des neuen Kölner Verlags Weissmann, um das Wesen der Nacht zu ergründen. In einer assoziativen, selten inhaltlich begründeten Anordnung von Texten und Bildern geht es um Tanz und Taumel, Rausch und Absturz, Zärtlichkeit und Gewalt. Auf dem Streifzug durch die Dunkelheit treffen wir Immanuel Kant und William Butler Yeats ebenso wie den jungen Ehrenfelder Buchhändler und Dichter Christoph Danne, trinken ein Bier mit einem melancholischen Paar auf dem Bordstein vor einem Kiosk und erfahren, was nachts auf dem Platz des Himmlischen Friedens so läuft. Natürlich geht es auch um Liebe, ein schwankendes Gefühl, das sorgsam ertastet werden will. Und auch des einstigen Edelbordells in der Piusstraße wird gedacht, die ansehnliche Kneipen-, Bar- und Rotlicht-Szene des Stadtteils steht jedoch keineswegs im Mittelpunkt. In Ehrenfeld wurde auch der überwiegende Teil der Fotografien aufgenommen, schon der Einband zeigt den derzeit wegen Bauarbeiten verhüllten Turm von St. Joseph. „Wir wurden hier im Veedel zu diesem Thema inspiriert, sind aber im Schutze der Nacht hinausgeschlichen und haben uns auch anderswo umgesehen“, erklärt Rosenthal lächelnd.

Grafiker Stefan Flach, der für das Design des Bandes zuständig war und dessen Schreibtisch 18 Jahre lang in einer Ehrenfelder Bürogemeinschaft stand hält die Konzentration auf den Stadtteil ebenfalls für naheliegend: „Hier gibt es solch eine Vielzahl unterschiedlicher sozialer Gruppen, Milieus und Lebensentwürfe, man hat alle möglichen Facetten des sozialen Lebens vor Augen.“ Das Veedel als soziokulturellen Entwurf hatte Peter Rosenthal bereits als Herausgeber des Bandes „Venedig ist auch nicht viel größer als Ehrenfeld“ behandelt, der im Stadtteil zum Top-Seller wurde: 4.000 Stück davon hat allein die Bunt-Buchhandlung an der Venloer Straße (und andere Bücherläden in Ehrenfeld A.d.R.) verkauft, mehr als von jeder anderen Buchveröffentlichung bis dato.

Flach hatte bereits die Gestaltung des 2017 erschienenen Bandes übernommen, für das „Nacht“-Projekt beschlossen die beiden, einen eigenen Verlag zu gründen. Schon, weil man da vom Inhaltlichen über die Wahl des Papiers bis zum Vertrieb, der im Wesentlichen über den persönlichen Kontakt mit den Buchhandlungen laufen soll, alles selbst in der Hand habe. 

Weissmann Verlag heißt die Neugründung nach dem Dritten im Bunde, Michael Weißmann, der im kaufmännischen Bereich tätig ist und im Belgischen Viertel lebt – „Ost-Ehrenfeld“ sozusagen. 

„Seit etwa 50 Jahren bin ich aber auch begeisterter Hobby-Fotograf und habe viele Aufnahmen in Ehrenfeld gemacht.“ Der Titel des neuen Bandes übrigens ist ein abgewandeltes Zitat von Stefan Zweig, der einst, als er im brasilianischen Exil lebte, auf seinen neuen Wohnsitz angesprochen wurde: „Das ist aber weit weg.“ Zweig hatte darauf entgegnet: ,,Weit von wo?“. Dem gebürtigen Rumänen Rosenthal, selbst Mitglied des Exil Pen, gefiel das Unbestimmte dieser Antwort, das passe auch zum Thema Nacht. 

ln verlassenen Häusern 

Der Tag kommt nicht so gut weg, als er schließlich anbricht. Mit dem letzten Satz eines Texts von John Williams: „Und der Morgentau verströmte einen modrigen, übel riechenden Duft, der ihm so unangenehm in die Nase drang wie der muffige Geruch düsterer Zimmer in verlassenen Häusern“, schließt ein durchaus anregender Band, der die Nacht selbstverständlich nicht erschöpfend erkunden kann und soll. Für den Weissmann Verlag wird es aber weitergehen, die drei frisch gebackenen Verleger haben allerdings keine Eile und warten auf die nächste Inspiration: „Heimat, und wie sie sich für die zahlreichen Migranten darstellt, die mittlerweile in Ehrenfeld leben – das könnte so ein Thema sein“, deutet Rosenthal an.

Das Buch 

Auf den 160 Seiten des Buches „Nachts nicht weit von wo“ finden sich 41 Beiträge, Erzählungen, Gedichte und mehr von 15 Autoren sowie 76 Farbfotografien von elf Fotografen aus Ehrenfeld und „dem Rest der Welt“. Erhältlich zum Preis von 19,95 Euro im Buchhandel oder direkt über die Website www.weissmann-verlag.de.