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»Manche tarnen sich, um zu überleben«

Artikel der Stadtrevue zum Buch Frauen zwischen Straße und Strafe

Petra Metzger über wohnungslose Frauen zwischen Sucht, Haft und Überlebens­strategien

07.11.2025 Politik Interview: Anja Albert Ausgabe: 11/2025

Frau Metzger, Sie und Christiane Niesel haben ein Buch über wohnungslose Frauen geschrieben. Was war der Anstoß dafür?

Das Thema treibt uns schon lange um. Wir wollen den Zusammenhang von Hafterfahrung, Obdachlosigkeit und Armut anhand von persönlichen Schicksalen untersuchen und den Menschen Einblick in das Leben der Frauen geben, die diese Erfahrungen gemacht haben. Von Christiane Niesel sind die Gespräche mit den Frauen und von mir die Hintergrundinformationen. Vor Jahren habe ich den Verein »Stattreisen Köln« mitgegründet und durch Führungen und Veröffentlichungen einen ­geschulten Blick auf die Stadt 
und ihre Veränderungen. 

Gab es eine Begegnung, die Sie besonders berührt hat? 

Christiane Niesel hat besonders das Schicksal einer Frau berührt, die mit Drogenproblemen kämpft, aber keine Therapie beginnen kann, weil bestimmte Auflagen das verhindern. Viele der wohnungslosen Frauen haben einen Suchthintergrund, meist Heroin, manchmal Alkohol. Wohnungs­losigkeit und Sucht hängen eng zusammen. Einige begannen erst auf der Straße, Drogen zu nehmen, um das Leben dort zu er­tragen. Andere kennen Sucht­probleme schon von ihren Eltern. Mich macht besonders betroffen, wenn Obdachlose in meinem ­Umfeld von einem auf den anderen Tag nicht mehr da sind und man nicht weiß, was mit ihnen passiert ist. Für mich gehören sie zur Nach­barschaft. 

Warum sind wohnungslose Frauen oft weniger sichtbar als Männer? 

Es gibt Frauen, denen man gar nicht ansieht, dass sie auf der ­Straße leben — sie tarnen sich, um nicht als obdachlos erkannt zu werden. Manche erkennt man erst auf den dritten Blick als Frau, weil sie sich in Decken und ­Mäntel ­hüllen. Andere schlafen vorübergehend bei Bekannten oder lassen sich auf Abhängig­keiten von ­Männern ein, oft ­gegen Gegen­leistungen. 

Gibt es Gemeinsamkeiten in den Biografien?

Wenn, dann sind es die harten Brüche: Schicksalsschläge, die das Leben zerstören. Eine Frau erzählte, dass sie aus einem bürgerlichen Elternhaus kommt, mit 17 vergewaltigt wurde, sich ein halbes Jahr im Keller ­versteckte, die Schule schwänzte und dann durch falsche Freunde in die Drogenszene geriet.  

Immer mehr ältere Frauen landen in der Obdachlosigkeit — oft, weil die Rente nicht reicht

Wie haben die Frauen ihre Haft erlebt?

Meist als Strafe, sehr selten auch als Schutz. Viele Frauen sind wegen kleiner Ver­gehen in Haft, zu kurz, um eine Ausbildung oder Entgiftung zu machen. Sie stehen danach wieder ohne Ausweis oder Unterkunft da und landen wieder bei alten Bekannten oder auf der Straße. Es braucht dringend mehr Begleitung nach der Haft, einen echten Anschluss. Zwar gibt es Projekte, aber zu wenige Plätze. 

Was würde den Frauen die ­Resozialisierung erleichtern?

Wohnraum ist das Wichtigste! Ein eigenes Zimmer, Schutz vor Gewalt. Zudem helfen kleine ­Arbeitsmöglichkeiten wie für die Straßenzeitung Draußenseiter. Da geht es um den Verdienst, aber auch um Zugehörigkeit und Kontakt. Fast ebenso wichtig sind ­Menschen, die sagen: »Ich gebe dir eine Chance.« In Dortmund, Hannover und Düsseldorf gibt es gute Projekte, die Räume und Betreuung für Frauen schaffen. In Köln gibt es hoffentlich bald ähnliches: Die Frauenstiftung um die Frauenärztin Maria Beckermann arbeitet gerade an einem Konzept für eine Art Gesundheitshaus für Frauen. 

Was gibt den Frauen Hoffnung?

Ehrlich gesagt, wenig. Viele haben Kinder, die woanders leben, und sie leiden darunter, keine »gute Mutter« gewesen zu sein. Wenige schöpfen Kraft aus der Sehnsucht, ihre Kinder wiederzusehen. Viele zieht es noch mehr runter. 

Es heißt oft, es könne jeden ­treffen, jeder könne auf der Straße landen. Stimmt das?

Schon eine Krankheit kann einen aus der Bahn werfen. Immer mehr ältere Frauen landen in der Obdachlosigkeit, weil die Rente nicht reicht. Und das ist erst der Anfang: Die Armutswelle rollt, die Mieten explodieren. Unser Buch soll ­Einblicke geben in Lebenswelten, die viele nicht kennen und vielleicht vorschnell urteilen. Armut und Obdachlosigkeit sind nicht gottgegeben. Auf politischer ­Ebene ist eine stärkere Gemeinwohlorientierung nötig. Zwischenmenschlich können auch kleine Gesten — ein Gespräch, ein Brötchen, ein Medikament, das man bezahlt — Großes bewirken. 

»Frauen zwischen Straße und Strafe« von Petra Metzger und Christiane ­Niesel erscheint demnächst im ­Weismann-Verlag. Die Bethe-Stiftung unterstützt die Publikation und verdoppelt alle Spenden, die bis zum 12.12. ­eingehen, bis zu einer Höhe von 6.000 Euro. Sollten mehr Spenden ­ein­gehen als zur Kostendeckung ­not­wendig ist, kommen sie einem Obdach­losenprojekt zugute.

Sparkasse KölnBonn:
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»Obdachlose mit Zukunft e. V.«
Verwendungszweck: Verdopplungsaktion Bethe