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Wenn es Nacht wird in Ehrenfeld

Artikel im Kölner Stadtanzeiger

Der Band „Nachts nicht weit von wo“ vereint Prosa, Lyrik und Fotografien – Der schillernde Stadtteil im Kölner Westen steht im Mittelpunkt, viele Texte weisen aber auch über ihn hinaus. Von Clemens Schminke, Kölner Stadt-Anzeiger –  Donnerstag, 12. März 2020 

Einmal im Jahr hatte Francesco Caroli, den Fans als den „berühmtesten Weißclown der Welt“ feierten, einen Termin in einer Arztpraxis in Ehrenfeld, bei Internist Dr. Peter Rosenthal. Seit der Mediziner herausgefunden hatte, dass die Beinödeme seines Patienten die Nebenwirkung eines Herzmittels waren und dieses gegen ein anderes ausgetauscht hatte, kam der Clown, der lange zum Ensemble des Circus Roncalli gehörte, stets an einem Montag zur Kontrolle. Man begrüßte sich auf Ungarisch; Caroli war als Kind mit seiner Familie, die für ihre Pferdedressuren bekannt war, oft in Ungarn gewesen, und Rosenthal beherrschte die Sprache als jemand, der bis zu seinem zwölften Lebensjahr im Banat gelebt hatte. 

Ein melancholischer Grundzug prägt das Buch 

Wie der Arzt den Zirkusstar, der vor 16 Jahren gestorben ist, erlebt hat, ist in dem Text festgehalten, der zu den ersten Beiträgen im Band „Nachts nicht weit von wo“ gehört. Ähnlich wie „Venedig ist auch nicht viel größer als Ehrenfeld“, das Rosenthal 2017 veröffentlicht hat, ist das Buch eine Sammlung von Prosa, Lyrik und Fotografien. Es ist das erste Werk aus dem Programm des jungen Weissmann Verlags. 

Verbindendes Thema des neuen Bands ist die Nacht mit all ihren Facetten. „Dieses Buch ist aus einer Inspiration entstanden, deren Traumgebilde aus Ehrenfeld hinauswuchs …“, heißt es im Nachwort. Eine Vielzahl der Texte weist über den Stadtteil im Kölner Westen hinaus – anders als die 76 stimmungsvollen, gut ausgewählten Fotografien, die fast ausschließlich nächtliche Szenen in Ehrenfeld vor Augen führen, wiederholt mit dem künstlerischen Mittel der Verwischung. 

So mancher visuelle Eindruck, ob in einer Kneipe oder auf einer Straße, hätte sich auch anderswo in Köln oder einer anderen Stadt einfangen lassen; vieles aber lässt sich klar verorten, von den Balloni-Hallen über den Bahnhof Ehrenfeld, das eingerüstete 4711-Hochhaus und das Freiluft-Kulturzentrum Odonien bis zum beliebten Imbiss „Kebapland“ an der Venloer Straße. Die meisten Bilder stammen von Michael Weißmann, der den Verlag zusammen mit Rosenthal und Grafik Designer Stefan Flach 2019 gegründet hat. 

In den Textbeiträgen wird der heimische Schauplatz zum Beispiel im Auszug aus dem „Ehrenfeldkrimi“ von Ulrike Anna Bleier kenntlich, wo ein Kind seine Mutter verliert am Ehrenfelder Bahnhof strandet und schließlich aufs Geratewohl in einen Bus einsteigt. Rosenthal selber, der 2001 mit „Entlang der Venloer Straße“ sein erstes Buch veröffentlicht hat, bannt im Gedicht „Ameisenhotel“ Impressionen von der Körnerstraße und schildert in einem kurzen Text, welche Gedanken einem Vortragsreisenden in der Kölner U-Bahn durch den Kopf gehen und – wie er am Morgen danach im Hostel „Weltempfänger“ aufwacht. Und die Ehrenfelder Schriftstellerin Margit Hähner schildert aus der Sicht einer Nachbarin, wie sie den Betrieb des Bordells „Römerbad“ in der Piusstraße erlebt hat von dessen Provisionen viele Jahre lang so mancher Kölner Taxifahrer profitiert hat und das sich heute in Bickendorf befindet. 

Fotografen und Autoren aus mehreren Ländern machen mit 

Die Subjektivität der Blicke und ein melancholischer Grundzug prägen das von Stefan Flach schön gestaltete Buch, (…). Weil das vielgestaltige „Traumgebilde“ aus Ehrenfeld hinausgewachsen ist, können auch Orte wie Berlin, Moskau, Barcelona und Peking vorkommen. Denn letztlich ist die Nacht das entscheidende Thema, die Nacht und vielerlei, was sich damit – prosaisch oder poetisch – assoziieren lässt, Sternenhimmel und Lichtsmog, Traum und Vergänglichkeit, Sehnsucht und Angst, Sex und Wehmut. Von Zitaten über kurze Erzählungen bis hin zu Gedichten: Vieles fügt sich im Zusammenspiel mit den Bildern stimmig ein, anderes wirkt etwas willkürlich dazu genommen in diesem Kaleidoskop, das Autoren und Fotografen aus mehreren Ländern zusammenbringt, darunter ausländische Schriftsteller, die dem Exil PEN angehören. Ungefähr in der Mitte des Bands findet sich dieses Gedicht von Rosenthal, dem er den Titel „Zeit“ gegeben hat:

„Zeit zur Rückkehr
In die majestätische
Beliebigkeit Ehrenfelds,
Viertel großer Nachkriegsversuchungen,
Illusion einer verwundeten Stadt,
Aus der verlorene Träume
Dich ansehen.“ 

Peter Rosenthal

Peter Rosenthal (Hrsg.): Nachts nicht weit von wo. 160Seiten, Weissmann Verlag, 19,95 Euro

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„Auf der dunklen Seite Ehrenfelds“

Artikel in der Kölnischen Rundschau vom 6.3.2020

„Nachts nicht weit von wo“ ist die erste Veröffentlichung des neu gegründeten Weissmann-Verlages von Hans-Willi Hermans, Kölnische Rundschau – Freitag, 6. März 2020

Sie ist nicht einfach der Tag in einer mangelhaft beleuchteten Version, sie ist eine Sphäre mit ganz eigenen Gesetzen: In der Nacht werden die Konturen unscharf, die Zuschreibungen, Bedeutungen ändern sich. Wer sich hinaus in die Nacht begibt, setzt sich dem Geheimnisvollen, dem Unberechenbaren aus, mag auf Poesie stoßen. Peter Rosenthal beschreibt den Gegensatz am Anfang des Bandes „Nachts nicht weit von wo“ anschaulich in der Geschichte vom Clown Francesco, der nachmittags in die Praxis des Autors an der Venloer Straße zu Blutabnahme und EKG kommt, abends aber den Arzt in seinem Zirkus begrüßt, in einer Welt, die mit einem „magischen Schleier“ umhüllt ist. 

Paar auf dem Bordstein 

Gedichte, Aphorismen und Prosa-Formate der unterschiedlichsten Autoren sowie eine Vielzahl von Fotografien versammelt die erste Veröffentlichung des neuen Kölner Verlags Weissmann, um das Wesen der Nacht zu ergründen. In einer assoziativen, selten inhaltlich begründeten Anordnung von Texten und Bildern geht es um Tanz und Taumel, Rausch und Absturz, Zärtlichkeit und Gewalt. Auf dem Streifzug durch die Dunkelheit treffen wir Immanuel Kant und William Butler Yeats ebenso wie den jungen Ehrenfelder Buchhändler und Dichter Christoph Danne, trinken ein Bier mit einem melancholischen Paar auf dem Bordstein vor einem Kiosk und erfahren, was nachts auf dem Platz des Himmlischen Friedens so läuft. Natürlich geht es auch um Liebe, ein schwankendes Gefühl, das sorgsam ertastet werden will. Und auch des einstigen Edelbordells in der Piusstraße wird gedacht, die ansehnliche Kneipen-, Bar- und Rotlicht-Szene des Stadtteils steht jedoch keineswegs im Mittelpunkt. In Ehrenfeld wurde auch der überwiegende Teil der Fotografien aufgenommen, schon der Einband zeigt den derzeit wegen Bauarbeiten verhüllten Turm von St. Joseph. „Wir wurden hier im Veedel zu diesem Thema inspiriert, sind aber im Schutze der Nacht hinausgeschlichen und haben uns auch anderswo umgesehen“, erklärt Rosenthal lächelnd.

Grafiker Stefan Flach, der für das Design des Bandes zuständig war und dessen Schreibtisch 18 Jahre lang in einer Ehrenfelder Bürogemeinschaft stand hält die Konzentration auf den Stadtteil ebenfalls für naheliegend: „Hier gibt es solch eine Vielzahl unterschiedlicher sozialer Gruppen, Milieus und Lebensentwürfe, man hat alle möglichen Facetten des sozialen Lebens vor Augen.“ Das Veedel als soziokulturellen Entwurf hatte Peter Rosenthal bereits als Herausgeber des Bandes „Venedig ist auch nicht viel größer als Ehrenfeld“ behandelt, der im Stadtteil zum Top-Seller wurde: 4.000 Stück davon hat allein die Bunt-Buchhandlung an der Venloer Straße (und andere Bücherläden in Ehrenfeld A.d.R.) verkauft, mehr als von jeder anderen Buchveröffentlichung bis dato.

Flach hatte bereits die Gestaltung des 2017 erschienenen Bandes übernommen, für das „Nacht“-Projekt beschlossen die beiden, einen eigenen Verlag zu gründen. Schon, weil man da vom Inhaltlichen über die Wahl des Papiers bis zum Vertrieb, der im Wesentlichen über den persönlichen Kontakt mit den Buchhandlungen laufen soll, alles selbst in der Hand habe. 

Weissmann Verlag heißt die Neugründung nach dem Dritten im Bunde, Michael Weißmann, der im kaufmännischen Bereich tätig ist und im Belgischen Viertel lebt – „Ost-Ehrenfeld“ sozusagen. 

„Seit etwa 50 Jahren bin ich aber auch begeisterter Hobby-Fotograf und habe viele Aufnahmen in Ehrenfeld gemacht.“ Der Titel des neuen Bandes übrigens ist ein abgewandeltes Zitat von Stefan Zweig, der einst, als er im brasilianischen Exil lebte, auf seinen neuen Wohnsitz angesprochen wurde: „Das ist aber weit weg.“ Zweig hatte darauf entgegnet: ,,Weit von wo?“. Dem gebürtigen Rumänen Rosenthal, selbst Mitglied des Exil Pen, gefiel das Unbestimmte dieser Antwort, das passe auch zum Thema Nacht. 

ln verlassenen Häusern 

Der Tag kommt nicht so gut weg, als er schließlich anbricht. Mit dem letzten Satz eines Texts von John Williams: „Und der Morgentau verströmte einen modrigen, übel riechenden Duft, der ihm so unangenehm in die Nase drang wie der muffige Geruch düsterer Zimmer in verlassenen Häusern“, schließt ein durchaus anregender Band, der die Nacht selbstverständlich nicht erschöpfend erkunden kann und soll. Für den Weissmann Verlag wird es aber weitergehen, die drei frisch gebackenen Verleger haben allerdings keine Eile und warten auf die nächste Inspiration: „Heimat, und wie sie sich für die zahlreichen Migranten darstellt, die mittlerweile in Ehrenfeld leben – das könnte so ein Thema sein“, deutet Rosenthal an.

Das Buch 

Auf den 160 Seiten des Buches „Nachts nicht weit von wo“ finden sich 41 Beiträge, Erzählungen, Gedichte und mehr von 15 Autoren sowie 76 Farbfotografien von elf Fotografen aus Ehrenfeld und „dem Rest der Welt“. Erhältlich zum Preis von 19,95 Euro im Buchhandel oder direkt über die Website www.weissmann-verlag.de.