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Draussenseiter – Das Kölner Straßenmagazin

Der Fotoband des Kölner Fotografen Stefan Flach ist entstanden im Sommer 2020 auf Mallorca, am berühmten Strandabschnitt an der Playa de Palma – besser bekannt als „Ballermann“. Er reiste dorthin mit der Idee, den verlassenen Ballermann in der Pandemie einzufangen. Ähnliche Projekte mit geschlossenen Freizeitparks hatten ihn auf die Idee gebracht. Nicht ganz klar war, ob er überhaupt dorthin reisen durfte, doch dann hat es spontan geklappt. Denkt man bei Ballermann als erstes an die kontroverse deutsche Feierkultur, zeigen diese Fotos genau das Gegenteil: Eine leere Promenade und nüchterne Kneipenfassaden, soo wie es sich der ein oder andere Einheimische wünschen würde, ohne betrunkene Touristen*innen und deren Hinterlassenschaften (der Putzeimer mit Sangria ist mittlerweile nicht mehr erlaubt).

Stefan Flach ist bei Recherchen für sein Buch auf das Paar Annette und André Engelhardt gestoßen. Die Engelhardts haben sich den Begriff „Ballermann“ rechtzeitig schützen lassen und sind damit reich geworden. Jeder Gastwirt, der eine Ballermann-Party veranstalten möchte, muss die beiden um Erlaubnis fragen und Lizenzen bezahlen. Sie kommen im Buch genauso ehrlich zu Wort wie mallorquinische Angestellte im Tourismus, die eine negative Meinung zum Sauftourismus haben. André Engelhardt sagt im Buch: „Der Ballermann ist kein Ort. Er ist vor allem eine Marke und ein Lebensgefühl für eine Gemeinschaft die gerne zusammen feiert.“ Man kann dieses Gefühl auch in einer Kneipe in Köln erleben, wenn man will.

So erfährt man auch, wie der FC Merowinger 1972 erstmals als Thekenmannschaft an die Playa de Palma reiste. Weil das damals schon billiger war als ein Urlaub in Westdeutschland. Im Handgepäck die Kölsch-Fässer und Töpfe voller Gulasch, weil se der spanischen Küche misstrauten. Und da ein Kölner auch in fremden Ländern stets zeigen muss, dass er ein Kölner ist, kamen auch die Karnevalskostüme am Strand zum Einsatz.

Die 37 farbigen, anschaulich schlichten Fotos zeigen die Touristenhochburg ohne Leuchtreklame und Partys um 5 Uhr 30. Nur leer Straßen, verrammelte Eingänge und verwaiste Plätze. Absperrgitter ohne Schlangen. Der Bierkönig unscheinbar wie eine Lagerhalle (auf dem Cover). Tristesse weit und breit, wo doch sonst gerne gefeiert wird.

Keine Cordula Grün und keine zehn nackten Frisösen weit und breit. Nicht mal eine.

Auch der Kölner Fotograf Chargesheimer zeigte schon in seinem Buch „Köln5Uhr30“ das menschenleere Köln und das nackte Bild einer Stadt, die ohne deren Menschen schön hässlich und einsam wirkt. Diese Parallele ist natürlich beabsichtigt.

Flach schreibt in seinem Buch: „Ohne die vielen Menschen wirkt der Ort grotesk, auf eine brutale Art entzaubert, enttarnt als billige Fassade.“ Derart stillgelegt, strahlt der Ballermann tatsächlich nur Schäbigkeit und Tristesse aus. Nichts, was sich für die Bewohner*innen von S’Arenal zurückerobern lohnte. Auch kein Ort, der besonders reizvoll ist, wenn man ihn für sich ganz alleine hat. Eine Geisterstadt, ganz ohne Geheimnisse.

Ein schönes Fotobuch, ansprechend gestaltet, Fotos einheitlich farbig, mit vielen interessanten Texten, Gedanken und Infos. Für jeden*jede der*die schon mal dort war oder mal wieder hin möchte, ein Muss – aber ihr solltet vielleicht besser erst nach der Pandemie wieder dort hinfliegen. Die Autorin war selber schon mal am Ballermann und hat es dort auch zu normalen Zeiten sehr irritierend gefunden. Gut, dass diese schöne Insel noch sehr viel mehr zu bieten hat!

Anemone Träger

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Von der Ästhetik der Leere

Mallorca Zeitung – Nr. 1.093 – 15. April 2021

Ein deutscher Urlauber besuchte ausgerechnet im Juli 2020, mitten in der Pandemie, zum ersten Mal den Ballermann. Seine Eindrücke hat der Grafik Designer nun in einem Bildband dokumentiert, der Zeitzeugnis sein soll.

Was er den Leuten mit den Bildern vom schlafenden Ballermann zeigen wolle – die seien doch total trist, das wolle bestimmt niemand sehen, musste sich Stefan Flach immer wieder anhören. Doch davon ließ er sich nicht abhalten. Der 55-jährige Grafikdesigner hatte aus­gerechnet im Sommer 2020, mitten in der ­Pandemie, zum ersten Mal die Partymeile besucht. Zu sehen bekam er freilich keine Party: Statt Menschen, die auf Tischen tanzend Schlager mitgrölen, Sangria in sich ­hineinfließen lassen oder mit Sonnenbrand ihren Rausch am Strand ausschlafen, fand er menschenleere Strände, verrammelte Fenster und verriegelte Gitter vor Lokalen vor. Die ­Partymeile war komplett trockengelegt.

Seinen frühmorgendlichen Streifzug an der Playa dokumentierte der Urlauber mit reichlich Fotos. 37 davon hat er nun in seinem Bildband „Ballermann 5 Uhr 30″ veröffentlicht. „Ich hatte bis dahin nur den Mythos im Kopf. Dass ich schon einen Tag vor meiner ­Familie auf der Insel war, wollte ich ausnutzen, um den Ballermann so kennenzulernen, wie es ihn womöglich erst einmal nicht mehr ­geben wird“, schildert Flach am Telefon. Die ­Situation sei unwirklich gewesen. „Dort, wo ­eigentlich das Leben tobt, war auf einmal nichts mehr. Stille. Kein Mensch auf der ­Straße. Alles hatte zu“, so der Deutsche.

In der Leere der aufgenommenen Lokale sah er aller Tristesse zum Trotz auch eine gewisse Ästhetik: „Es sind Räume, die sich um Menschen drehen, nur für sie gebaut wurden. Und genau die sind plötzlich nicht mehr da. Das ist ein verwirrendes Bild, eines, das man nicht sofort versteht. Wohl aber denkt man ,Hier ist etwas passiert'“, so Flach.
Dass die Fotos vor allem regelmäßige Feier-Touristen wehmütig stimmen dürften, dessen ist sich der Grafikdesigner bewusst. „Ich rechne auch nicht damit, dass demnächst der Aufkleber ,Spiegel-Bestseller‘ das Cover zieren wird. Es ist klar, dass es kein Buch ist, das die breite Masse interessiert“, meint Flach. Vielmehr sei sein Projekt ein Zeitzeugnis, ein ­Geschenk für die Daheimgebliebenen, aber auch ein Angebot, mit dem Mythos aufzuräumen und die Perspektive zu wechseln. Das Buch solle zum Nachdenken anregen.

Dazu trägt auch der Text bei: Neben den Bildern stehen Zeilen aus Ballermann-Schlagern, Zitate aus Zeitungsartikeln, aber auch Kommentare von Menschen, die über die Arbeit an der Partymeile klagen, sowie Google-Rezensionen über die abgebildeten Lokale.

Simone Werner

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Dunkle Prophezeiung der Süddeutschen Zeitung

Stefan Fischer titelt in seinem Bericht über unser Buch „Ballermann5Uhr30“ eine unheimliche Prophezeiung: „Der Zapfhahn bleibt zu“

31. März 2021, Reisebuch zu Mallorca

Der Zapfhahn bleibt zu

„Hier ist der Himmel auf Erden, das letzte Paradies“, singt Jürgen Drews in seinem Party-Heuler „König von Mallorca“. In dem Mitgröl-Schlager huldigt er dem Ballermann, die Straßen dort mit all ihren Diskotheken, Kneipen, Biergärten, Wurstbuden und Tabledancebars nennt er schick und ein Zuhause. Als Motto gibt Drews aus: „Party feiern bis zum Morgen.“
Ein paar Straßenzüge in S’Arenal rund um die sogenannte Bier- und die Schinkenstraße, mit einem Streifen Strand davor, sind der Inbegriff der hemmungslosen Feierwut deutscher Urlauber. Bis vor einem Jahr galt: Der Ballermann ruht nie. Wenn die Party vorüber ist, sind die Hinterlassenschaften der Nacht unübersehbar: Betrunkene torkeln durch die morgendlichen Straßen oder schlafen am Strand ihre Räusche aus, inmitten des Mülls, den sie selbst produziert haben. Irgendwann wird dann aufgeräumt, und es geht von vorne los.
Diese Art des Tourismus hat viele Gegner auf der Insel. Der Fotograf Stefan Flach zitiert in seinem Band „Ballermann 5 Uhr 30“ deshalb nicht nur Jürgen Drews und andere Party-Profiteure, sondern auch Gegenstimmen wie die des balearischen Tourismusministers Iago Negueruela: „Wir wollen diese asozialen Touristen hier nicht haben. Sie sollen nicht kommen.“ Biel Barceló von der Bürgerinitiative Ciutat de s’Arenal pflichtet dem Politiker bei: Die Exzesse des Sauftourismus seien längst inakzeptabel, und man verstehe sich auch nicht als Freizeitpark für ausländische Touristen.

Durch die Pandemie hat die Party nun tatsächlich ein zumindest vorübergehendes Ende gefunden. Stefan Flach ist deshalb im vergangenen Juli nach Mallorca gereist, mitten in der eigentlichen Hauptsaison, und hat am Ballermann fotografiert, was es dort gemäß der Definition der vielen Ballermann-Fans gar nicht geben darf: Ruhe, Leere, Stillstand.

Flach hat für seine Aufnahmen die frühen Morgenstunden gewählt, wenn die Sonne zwar bereits aufgegangen ist, sich aber noch keine Passanten durch die Straßen bewegen. Er wollte die absolute Leere, das maximale Gegenteil der eigentlichen Bestimmung dieses Ortes, der vor allem ein Zustand ist, wie Flach in seinem Vorwort schreibt. Nicht einmal einen streunenden Hund sieht man auf den Bildern. Lediglich am Strand staksen ein paar Tauben und Möwen durch den Sand.

Stattdessen hat Stefan Flach verrammelte Türen, hochgestellte Stühle und heruntergelassene Rollgitter aufgenommen. Vor der Terrasse des Bierkönig-Bierhauses ist ein Maschendrahtzaun gespannt, der Bierkönig selbst sieht aus wie eine Lagerhalle. Keine Neonröhre blinkt, um für Sangria, Döner oder Oben-ohne-Bedienungen zu werben.
„Ohne die vielen Menschen wirkt der Ort grotesk, auf eine brutale Art entzaubert, enttarnt als billige Fassade“, schreibt Flach. Derart stillgelegt, strahlt der Ballermann tatsächlich nur Schäbigkeit und Tristesse aus. Nichts, was sich für die Bewohner von S’Arenal zurückzuerobern lohnte. Auch kein Ort, der besonders reizvoll wird, wenn man ihn für sich allein hat. Eine Geisterstadt, ganz ohne Geheimnisse.

Stefan Flach: Ballermann 5 Uhr 30. Weissmann Verlag, Köln 2020. 104 Seiten, 17,95 Euro.

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„Ballermann 5.30 Uhr“ – Statt Rausch nur Ruhe

Uli Kreikebaum schreibt im Kölner Stadtanzeiger über unser neues Fotobuch über die wegen Covid-19 geschlossene Amüsiermeile am Strand von s’Arenal bei Palma auf der spanischen Insel Mallorca.

Ballermann 5.30 Uhr

Ballermann 5.30 Uhr heisst das Buch, für das der Kölner Stefan Flach im Sommer 2020 den Strandabschnitt […] fotografiert hat“ schreibt Uli Kreikebaum in seinem Artikel im Kölner Stadtanzeiger am traurigsten Rosenmontag. Fast richtig, denn das Buch heißt Ballermann5Uhr30 🙂

Wir freuen uns trotzdem sehr über den sehr schön geschriebenen Artikel.


Statt Rausch nur Ruhe 

Der Kölner Stefan Flach hat den „Ballermann“ in Corona-Zeiten fotografiert   

In der Isolation gewinnen Gedanken an Ausschweifung mit jedem Tag an Reiz. Die soziale Monotonie und Monogamie möge eines Tages in eine Explosion der Lebensfreude münden, Zeiten von Rausch und Selbstvergessen. Zwischen alles an den Rand drängenden Corona- Nachrichten, Videokonferenzen, Lockdown-Verlängerungen und maskierten Einkäufen guckt man beim Irrlichtern durch die Stadt in die stummen Kneipen und wünscht sich, mit irgendwem im Arm auf den Tischen zu tanzen, jetzt, sofort. Karneval, Oktoberfest und Ballermann ohne Menschen, das ist die Katharsis einer Gesellschaft, die nach langem Wachstumsrausch bewusstlos geworden ist. 

„Ballermann5Uhr30“,heißt das Buch, für das der Kölner Stefan Flach im Sommer 2020 den Strandabschnitt Balnéario in Palma de Mallorca besucht hat. In schmucklosen Bildern hat der Fotograf an einemSommermorgen festgehalten, dass ein Ort, der sich über gemeinschaftliches Erleben definiert, ohne Menschen nicht existiert. Der Über-Ort Ballermann, an dem zeitgleich Tausende Menschen tranken, tanzten, Wunden leckten, ist zum Nicht-Ort geworden. Ohne Partymeute sind die teutonischen Tempel des Exzesses namens Bierkönig, Oberbayern und Megapark nutzlos. Ordinäre Lokalnamen wie „Wurstkaiser“, „Grillmüller“ oder „Schinkenbude“ klingen in derVergnügungs-Steppe plötzlich ironisch. Der Strandabschnitt mit all seinem kontrollverlustigen Leben, in dem die einen Trost, die anderen nur Tristesse fanden, ist jetzt ein Symbol für jenen Teil des Lebens, der von modernen Gesellschaften am liebsten verdrängt wird – sei es durch Rausch, Technologien oder jedwede Verjüngungsversprechen– und sich mit dem Virus plötzlich wieder eingenistet hat: DenTod. 

Der menschenleere Ballermann bietet in der Corona-Pandemie Raum für Träume und Alpträume, Assoziationen und Transitgedanken. Der vulgäre Mythos wird zu einem „mystischen Ort“, wie Flach in seinem Vorwort schreibt, an dem sich „neue Sichtweisen und Lesarten eröffnen“mögen. Wenn man der „Mallorca-Zeitung“ glauben darf, ist die Wortschöpfung Ballermann dem Kölner Kegelverein FC Merowinger zu verdanken, der 1972 zum ersten Mal an die Playa de Palma flog, und den Balnéario nach einigen Bieren zum Ballermann taufte, um die schwere Zunge zu schonen.

Reich geworden ist mit dem Begriff der Bayer André Engelhardt, der sich die Marke „Ballermann“ vor gut 20 Jahren schützen ließ – für ätherische Öle genauso wie für Christbaumbeleuchtungen oder Spielfilme; mit Lizenzrechten und auch dank Hunderter Klagen wurde er zum Millionär. Im Vorwort des Buchs definiert Engelhardt den Ballermann als „Gemeinschaft von netten Leuten, die gerne feiern und miteinander Spaß haben wollen“, egal ob auf Mallorca, im Westerwald oder beim Schlagermove in Hamburg. 

Im Nachwort denkt der Soziologe und Unterhaltungswissenschaftler Sacha Szabo darüber nach, warum der um Affektkontrolle bemühte Homo sapiens sich von vermeintlich vulgären Party-Touristen abgrenzt, warum er Überschreitungen wie am Ballermann, die er selbst anderweitig sublimiert, sozial zu sanktionieren versucht. Neben ganzseitigen Fotos finden sich in dem Bildband Zitate von Partyhelden wie Mickie Krause („Sei gepriesen für Urlaub und Safari! Sei gepriesen für Wodka und Bacardi! Sei gepriesen für Opel und Ferrari! Sei gepriesen, denn Du bist wunderbar!“), Sätze von Tourismusmanagern, Journalisten, Schlagermusikern, Mallorquinern, Auszüge aus Speisekarten und Romanen. 

Stefan Flach, der sagt, mit Neugier, Skepsis und Vorurteilen zum Ballermann gereist zu sein, hat eine etwas wilde Mischung zusammengestellt, die gemeinsammit seinen Fotos der menschenleeren Partymeile ihren Zweck erfüllt: Statt zu werten, soll sich jeder selbst seine Gedanken machen. Über Schlager, Sangria und Sonnenbrand, Gemeinschaft und Vereinzelung, Affektkontrolle, Zivilisationsauswüchse und die Sehnsucht nach Kontrollverlust. Die Fallhöhe ist gewaltig am Ballermann in Zeiten der Corona-Krise. Das Buch eröffnet ein Spannungsfeld, das über den Ort hinausweist.  

Zum Buch : Ballermann5Uhr30, fotografiert von Stefan Flach, ist das dritte Buch aus dem Kölner Weissmann Verlag. Zuvor erschienen sind der Erzählband „Nachts nicht weit von wo“ und „RatSchläge – Gegen Wohnungsnot und Stadtraumzerstörung in Köln“.

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Lost Place – Ballermann

Seit mehr als 20 Jahren arbeitet Jan-Christopher Sierks in der Medienbranche. Vom positiven und negativen Wahnsinn auf Verlags- und Agenturseite – bis hin zu den täglichen Highlights sowie Pleiten im Business – hat er in dieser Zeit sehr viel Außergewöhnliches erlebt.

Jan-Christopher Sierks: „Ich hatte jahrelang selbst einen Verlag in Hamburg und gab unter anderem ein Luxus-Printmagazin heraus. In der PR betreute ich die Rolling Stones, den Papst und Versace für Projekte. Für einen Autohersteller war ich in mehreren Ländern in TV Werbespots zu sehen.“

In seinem privaten Blog www.sierks.com veröffentlicht er als Male-Blogger mit seinen Editors‘ Choices ausgewählte Themen, gesammelte Erfahrungen, Informationen zu aktuellen Projekten (wie Shootings, Drehs und Veröffentlichungen) oder Dinge aus dem Büro-Alltag.

Ballermann, das war eigentlich immer so: Hoch die Tassen, Sonnenbrand und Fußballtrikots soweit das Auge reicht.

Jan-Christopher Sierks

https://www.sierks.com/blog/2021/gelesen-lost-place-ballermann

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sichtbar.art über Ballermann5Uhr30

sichtbar.art ist eine kuratierte Plattform für Fotografie und richtet sich an eine anspruchsvolle, internationale Leserschaft, mit Interesse an Fotografie und Kunst. Unter der Leserschaft finden sich professionelle Fotografinnen und Fotografen, Sammlerinnen und Sammler, Kuratorinnen und Kuratoren, Fotografie- und Kunstbegeisterte, PR-Fachleute, Influencer und Blogger, Medienvertreterinnen und Medienvertreter, Journalistinnen und Journalisten und Redakteurinnen und Redakteure.

Miryam Abebe
Freie Kuratorin für Fotografie und Bloggerin schreibt in Ihrem Blog sichtbar.art über Ballermann5Uhr30:

Ausgerechnet im Juli 2020 besucht Stefan Flach zum ersten Mal den Ballermann® auf Mallorca. Eigentlich wäre Hochsaison und man würde früh morgens die letzten Partygäste auf dem Weg ins Hotel antreffen, mittags die von der Sonne krebsrotgefärbten und braungebrannten Touristen am Stand liegen sehen und nachmittags die lachenden und für den Abend Pläne schmiedenden, leicht angesäuselten Jungs und Mädels an den Standbars hören. Nicht so im Sommer 2020 …

„Ballermann 5 Uhr 30“ zeigt leere Bars, Clubs und Strandabschnitte – neue Lost Places… Corona hat vieles verändert, die Massnahmen dagegen haben die Tourismusbranche hart getroffen und vielen den Boden unter den Füssen weggezogen.

Vielleicht macht diese Situation ein Umdenken möglich und Mallorca wird wieder mallorquinischer …

In „Ballermann 5 Uhr 30“ kommt auch André Engelhardt der Erfinder des Ballermanns zu Wort: […] Ballermann findet im Grunde genommen nach wie vor in den Herzen und in der Vorstellung der Menschen statt. Ich muss den Leuten nur einen Ort geben, wo das stattfindet. Dann funktioniert das weiterhin. Man feiert sich selbst.

Stefan Flach hat nicht nur verlassene und verriegelte Orte vor die Linse genommen, sondern auch verschiedene Protagonisten*innen zu Wort kommen lassen; den Erfinder des Ballermanns André Engelhardt, die Die Welt Journalistin Marion Müller-Roth oder die mallorquinische Angestellte im Tourismusbereich Natalia Docolomansky. Es sind Worte, die einen nachdenklich stimmen oder ein Kopfschütteln bewirken.

Stefan Flach (*1966) ist in Köln geboren, wo er heute lebt und arbeitet. Nach dem Besuch der Berufsgrundschule für Druck und Papier, der Fachoberschule für Gestaltung und des Zivildienstes im Bereich der Altenpflege erlangte er ein Diplom in Grafik Design an der Fachhochschule Niederrhein in Krefeld. Seit 2002 leitet er das Design Büro filter design und ist freischaffender Grafik Designer.

Zum Blog sichtbar.art geht es hier.

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Ballermann5Uhr30

Ballermann5Uhr30

Eine Fotoserie von Stefan Flach über die wegen Covid-19 geschlossenen Ballermann, die Amüsiermeile an der Playa de Palma auf Mallorca am frühen Morgen um 5Uhr30. Daher der Titel Ballermann5Uhr30. Kommentiert und begleitet von den unterschiedlichsten Stimmen über die typische Art des Partytourismus. Mit einer Einleitung von André Engelhardt und einem Nachwort von Sacha Szabo.

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Mallorca, Traumziel und Ferieninsel der Deutschen. Wunderschöne Strände, reizende Täler, prächtige Steilküsten. Faszinierende Grotten, eine bemerkenswerte Kirche und natürlich die Natur. Ähnlich wie das gallische Dorf in den Asterix Bänden, verhält es sich in einem kleinen Areal am Strand südöstlich der mallorquinischen Hauptstadt Palma.

Schlager, Sangria und Sonnenbrand

Seit den 80er Jahren ist aus diesem winzige Teil der Insel ein hochkonzentrierter Hotspot von Kegelklubs, Vereinsausflügen, Junggesellenabschieden etc. geworden. Sacha Szabo schreibt dazu: „Veraltete und teils heruntergewirtschaftete Areale, die ihr Publikum nur noch fanden, indem sie mit günstigen Preisen warben, waren für Gruppen, die gezwungenermaßen auch das Budget im Auge haben mussten, attraktiv. Und natürlich konnte das Geld, das man nun nicht für die Übernachtung ausgeben musste, in Alkohol konvertiert werden. Es etablierte sich ein Refugium, in dem sich eine vollständig eigene Subkultur entwickelte.“

In der Hochsaison herrscht am Ballermann, dem Strandabschnitt S’Arenal an der Playa von Palma de Mallorca normalerweise Hochbetrieb. Tausende Menschen, die zusammen feiern wollen. Eine Gemeinschaft im dionysischen Ausnahmezustand. Vereint in Schlager, Sangria und Sonnenbrand. Man kennt diese Bilder: Es ist irgendwas zwischen Karneval und einem liturgischen Ritual, das aus dem Ruder gelaufen ist. Der Höhepunkt dieser Feierkultur ist fast schon überschritten. Es regt sich seit einigen Jahren – auch kontrovers dikutierter – Widerstand der Mallorquiner.

Im Sommer 2020 ist am Ballermann5Uhr30 alles anders.

Alles war anders als man es kennt: Die Strände menschenleer. Die Fenster verrammelt. Einsame Drängelgitter vor Lokalen. Es gibt vielleicht keinen merkwürdigeren Zeitpunkt für einen ersten Besuch am Ballermann als den Sommer 2020. Die Pandemie hat die Gemeinde in die Isolation verbannt. Hier singt und tanzt gerade niemand mehr. Genau zu diesem Zeitpunkt hat sich der Kölner Fotograf und Grafik-Designer Stefan Flach zum ersten Mal an den Ballermann getraut. Voller Erwartungen, mit vielen Vorurteilen und Skepsis. Aber vor allem Neugier und seiner Kamera.

Frühmorgens am Ballermann5Uhr30 bestaunt er die zugesperrten Läden. Die verschlossenen Diskotheken. Die verwaisten Partytempel. Die Tische sind mit den hochgestellten Stühlen und Barhockern in den geschlossenen Lokalen zusammengerückt als wenn sie sich gegenseitig anlehnen müssen. Die sonst nach allen Seiten offenen Bierlokale sind mit Maschendrahtzaun abgesperrt. Teilweise sind die Türen sogar zugeschweißt. Man rechnet damit, dass sich hier für längere Zeit nichts mehr tut.

In den Straßen und an den Geschäften hängen noch die Hinweisschilder, die die speziellen Bedürfnisse der Party Gemeinde vom Ballermann antriggerten: deutsche Bratwurst, deutsches Bier aber ebenso exotische Mahlzeiten und Getränke wie Paella und Sangria, die hier gerne in großen Kannen verköstigt wurde. Ebenso hängen immer noch die Versprechungen von ungebändigter Stimmung, ständige Live-Musik, Erotik-Shows, Freibier-Aktionen … und immer wieder deutsche Bratwurst.

Lost Place Ballermann5Uhr30

Ohne die vielen Menschen wirkt der Ort grotesk, auf eine brutale Art entzaubert also enttarnt als billige Fassade eines verlassenen Freizeitparks. Die Ansichten vom verwaisten Paradies wirken wie Tatortfotos. Als sei hier etwas geschehen, was man sich beim Anblick der verschlossenen Amüsierbetriebe nicht mehr erklären kann.

Und doch zeigt sich gerade jetzt einen besonderer Reiz. Das Panorama des Lost Place Ballermann5Uhr30 und seiner vergangenen Ereignisse, die noch fast in der Luft liegen wird zum mystischen Ort. Man möchte sich betroffen abwenden und muss doch hinsehen. Entstanden sind Fotos einer stillgelegten, vergangenen aber unvergessenen Ära.

Im diesem mit feinen Buchdruckpapier verabeiteten Hardcoverbuch stehen den bedrückend authentischen Fotos vielstimmige Gedanken, Beschreibungen und Meinungen zum Phänomen Ballermann gegenüber. Ein Spannungsfeld, dass neue Sichtweisen und Lesarten eröffnen mag.

Und wer schreibt?

André Engelhardt, Inhaber der Marken Ballermann® und Ballermann6® beschreibt begeistert in seiner Einleitung, den Ballermann nicht wie gewohnt als Ort zu sehen, sondern als Gefühl einer verbundenen Feier-Gemeinschaft von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Stand. Hier feiert der Bänker mit der Putzfrau, der Schalke Fan mit der Zahnärztin aus Hamburg.

Sacha Szabo, Experte der Unterhaltungswissenschaft und Soziologe begründet in seinem Nachwort zu dem vorliegenden Fotobuch, dass der Ort, der Ursprungsort Ballermann, der ohne Menschen im eigentlichen Sinne mehr als ein Nicht-Ort ist. Die Begegnung der Menschen in gemeinschaftlichem Festrausch, die soziale Interaktion macht diesen Ort nämlich zu einem Super-Ort. Ohne den im übrigen Mallorca nur eine Insel von vielen wäre.

Ballermann5Uhr30
Hardcover, 104 Seiten
21 x 21 cm
ISBN 978-3-949168-00-0

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