Klaus Jünschke, Autor des Buches „Gefangen und Wohnungslos“ in dem er viele Gespräche mit Wohnungslosen in Haft aufgenommen hat, spricht im Podcast „Schuld – Strafe – Recht“ des Fritz Bauer Forums über die auffällige Überrepräsentation von Obdachlosen in Haft.
Kategorie: Allgemein
Gefangen & Wohnungslos
Klaus Jünschke – Gefangen & Wohnungslos
Gespräche mit Obdachlosen in Haft
Klaus Jünschke war monatelang in den Justizvollzugsanstalten Köln, Siegburg und Rheinbach und hat dort mit Häftlingen gesprochen, die vor ihrer Haft wohnungs- bzw. obdachlos waren – und danach mit größter Wahrscheinlichkeit auch wieder sind.
Aus ihren Erzählungen über die Gründe, die zur Inhaftierung führten, aus den Berichten über die Haftsituation und die Zukunftsaussichten ist das Buch „Gefangen & Wohnungslos“ entstanden. Es informiert die Öffentlichkeit über eine soziale Notlage, deren Behebung längst überfällig ist.
Seit Jahren dokumentiert das Statistische Bundesamt, aber weitgehend von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen: Wohnungslose sind die extrem überrepräsentierte soziale Gruppe in deutschen Gefängnissen. Das kommt auch – aber nicht nur – von der Ersatzfreiheitsstrafe, die diejenigen ins Gefängnis bringt, die eine Geldstrafe nicht bezahlt haben. Da die Bundesregierung gerade beschlossen hat, die Ersatzfreiheitsstrafe nicht abzuschaffen, sondern nur die Straflänge zu halbieren, wird sich daran nichts ändern. Denn die oft nur geringen Geldstrafen können vor allem Obdachlose nicht zahlen.
In den letzten zehn Jahren sind die Obdachlosenzahlen europaweit um 70 % gestiegenen. So forderte das EU-Parlament schon Ende 2020 alle Mitgliedstaaten auf, die Obdachlosigkeit bis 2030 zu beseitigen ua mit diesen Hinweisen:
- Obdachlosigkeit ist eine der schwersten Formen von Armut, die durch ein Zusammenspiel struktureller, institutioneller und persönlicher Faktoren verursacht wird
- EU-Länder sollen Obdachlosigkeit entkriminalisieren und gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Diensten wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialleistungen gewähren.
Auf Wohnungslosigkeit muss mit Wohnungsschlüsseln und nicht mit Handschellen reagiert werden. Wohnen ist ein Menschenrecht.
Gefördert von der Stadt Köln, der Arche für Obdachlose e.V. und dem Mach Mit e.V.
466 Seiten, mit 70 Abbildungen
25 Euro
ISBN 978-3-949168-10-9
Das Buch erscheint im Kölner Weissmann Verlag und kann hier direkt vorbestellt werden.
Weder Literatur noch Medizin können das Wohnungsproblem lösen.
„Ich wohne in einer schönen Wohnung – sie gehört mir. Früher habe ich auch in einer schönen Wohnung gewohnt – sie gehörte der Rumänischen Sozialistischen Republik. Vor einigen Wochen hatte ich ein Obdachlosenheim besucht, um mit zwei ehemaligen rumänischen Mitbürgern ein Interview über ihre Situation zu machen. Aus dem Interview wurde ein Essay, weil ich mich nicht an die Zwiespältigkeit ihrer Situation herantraute. Im Weissmann Verlag erschien dieses Essay in dem Buch „RatSchläge“, welches sich mit der Situation von Menschen befasst, die kein Zuhause haben.
In einer Zeit in der Wohnraum ein hart umkämpftes Spekulationsobjekt ist, halte ich jede Form der Hin- und Zuwendung an die Opfer dieses Verdrängungsprozesses für unerlässlich (selbstverständlich auch das Impfen gegen COVID). Weder Literatur noch Medizin können das Wohnungsproblem lösen, dies bleibt Aufgabe der Politik, welche z.B. im Rat entscheiden kann, wie man unseren Buchtitel „RatSchläge“ zu verstehen hat. Als Autor, kann ich auf diese Probleme lediglich aufmerksam machen und als Arzt nur mildern.“
Peter Rosenthal
Aktion in SKM-Einrichtung Stadt Köln impft wohnungslose Menschen in Merheim
Als Impfarzt Peter Rosenthal in die Einrichtung für Wohnungslose an der Ostmerheimer Straße 220 angekommen ist, bildet sich eine kleine Schlange von Menschen. Etwa ein Dutzend Obdachloser hat sich eingefunden, um eine Spritze mit dem Impfstoff gegen Corona zu erhalten. „Mit der Spritze haben wir endlich wieder die Chance auf mehr Freiheit“, sagt einer aus der Schlange. „Wir sind wieder näher dran an der Normalität.“
Mobile Teams und Schwerpunktaktionen
Seit der vergangenen Woche impft die Stadt wohnungslose Menschen. Mobile Teams haben Menschen in Wohngruppen aufgesucht, dazu gibt es auch Schwerpunktaktionen an Orten der Kontakt- und Beratungshilfe für Obdachlose. Für die Impfaktion am Dienstag ist der Ehrenfelder Hausarzt Rosenthal in die Einrichtung des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) an der Ostmerheimer Straße 220 gekommen, die seit ein paar Monaten im Rahmen der Winterhilfe wohnungslosen Menschen ein Dach über dem Kopf, Beratungen, soziale Kontakte, etwas zu essen und vieles mehr bietet. Weitere Aktionen sollen in den kommenden Tagen folgen.
Geimpft wurde zum Beispiel Christian Dahmen (57). Der gebürtige Berliner war einst Buchhalter und hatte BWL studiert. Vor 15 Jahren wanderte er nach Kanada aus und hat sich dort durchgeschlagen. War zum Beispiel am Schalter einer Fluggesellschaft tätig und hat in einer Galerie gearbeitet. „Die Löhne waren nicht toll, ich war unzufrieden“, sagt er. Mitten in der Corona-Pandemie hatte er genug Geld, um nach Europa zurückzuehren, war in Italien, dann in Bayern, bevor er nach Köln gekommen ist. Ein paar Tage hat er im Annohaus an der Severinstraße gelebt, ein paar Tage in einem Hotel, schließlich kam er in die Merheimer Einrichtung. Auf die Impfung hat er sich gefreut, er möchte mal wieder Essen gehen oder ausgehen. All das könnte möglich sein, denn nun habe er Job und Wohnung in Aussicht.
Sein Zimmer in der SKM-Einrichtung teilt er mit Burkhard Künne (57), den es aus Helmstedt nach Köln verschlagen hat. Künne verlor Frau und Arbeit, und hat sich gefragt, was ihn noch in Helmstedt halte. „Ich habe mich dann auf Achse gemacht“, sagt er. Ein paar Monate war er unterwegs, ist mit dem Zug aufs Geratewohl nach Herne gefahren, landete im März 2021 in der Kölner Bahnhofsmission jn anschließend in Merheim. Auch er hat einen Job in Aussicht: Wenn alles gut geht, kann er in Kürze in einer Sicherheitsfirma anfangen.
Pandemie für Wohnungslose besonders gefährlich
Rainer Best, SKM-Fachbereichsleiter für Notunterkünfte, begrüßt die neue Impfkampagne. Wohnungslose Menschen seien in der Pandemie besonderen Gefahren ausgesetzt, sagt er. „Das Leben auf der Straße hat viele Risiken. Viele der Menschen sind vorzeitig gealtert.“ Viele seien zudem chronisch krank, manche tränken viel Alkohol oder nähmen Drogen, ergänzt Einrichtungsleiter Dietmar Beauvisage. Die Pandemie habe es den wohnungslosen noch schwerer als sonst gemacht, über die Runden zu kommen. Weil während des Lockdowns weniger Menschen als üblich unterwegs seien, hätten Wohnungslose weniger Geld durch Betteln oder Flaschen sammeln. Selbst eine Toilette zu finden sei ein Problem, weil die Restaurants derzeit geschlossen haben.
Laut Stadt wurden seit dem 5. Mai insgesamt 539 wohnungslose Menschen geimpft. Die Kommune setzt bei den Impfaktionen auf Präparate des Herstellers Johnson & Johnson. Für eine Immunisierung reicht anders als bei anderen Herstellern eine einzige Spritze. Dies sei ein entscheidender Vorteil bei einer Klientel, bei der man nicht genau wissen, ob man sie zu einem zweiten Termin antreffe, so ein Stadtsprecher. Etwa 6000 wohnungslose Menschen gibt es nach Angaben der Stadt in Köln. Laut Schätzungen leben etwa 300 von ihnen auf der Straße, der Rest schläft bei Freunden oder in städtischen Notunterkünften.