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Von der Ästhetik der Leere

Mallorca Zeitung – Nr. 1.093 – 15. April 2021

Ein deutscher Urlauber besuchte ausgerechnet im Juli 2020, mitten in der Pandemie, zum ersten Mal den Ballermann. Seine Eindrücke hat der Grafik Designer nun in einem Bildband dokumentiert, der Zeitzeugnis sein soll.

Was er den Leuten mit den Bildern vom schlafenden Ballermann zeigen wolle – die seien doch total trist, das wolle bestimmt niemand sehen, musste sich Stefan Flach immer wieder anhören. Doch davon ließ er sich nicht abhalten. Der 55-jährige Grafikdesigner hatte aus­gerechnet im Sommer 2020, mitten in der ­Pandemie, zum ersten Mal die Partymeile besucht. Zu sehen bekam er freilich keine Party: Statt Menschen, die auf Tischen tanzend Schlager mitgrölen, Sangria in sich ­hineinfließen lassen oder mit Sonnenbrand ihren Rausch am Strand ausschlafen, fand er menschenleere Strände, verrammelte Fenster und verriegelte Gitter vor Lokalen vor. Die ­Partymeile war komplett trockengelegt.

Seinen frühmorgendlichen Streifzug an der Playa dokumentierte der Urlauber mit reichlich Fotos. 37 davon hat er nun in seinem Bildband „Ballermann 5 Uhr 30″ veröffentlicht. „Ich hatte bis dahin nur den Mythos im Kopf. Dass ich schon einen Tag vor meiner ­Familie auf der Insel war, wollte ich ausnutzen, um den Ballermann so kennenzulernen, wie es ihn womöglich erst einmal nicht mehr ­geben wird“, schildert Flach am Telefon. Die ­Situation sei unwirklich gewesen. „Dort, wo ­eigentlich das Leben tobt, war auf einmal nichts mehr. Stille. Kein Mensch auf der ­Straße. Alles hatte zu“, so der Deutsche.

In der Leere der aufgenommenen Lokale sah er aller Tristesse zum Trotz auch eine gewisse Ästhetik: „Es sind Räume, die sich um Menschen drehen, nur für sie gebaut wurden. Und genau die sind plötzlich nicht mehr da. Das ist ein verwirrendes Bild, eines, das man nicht sofort versteht. Wohl aber denkt man ,Hier ist etwas passiert'“, so Flach.
Dass die Fotos vor allem regelmäßige Feier-Touristen wehmütig stimmen dürften, dessen ist sich der Grafikdesigner bewusst. „Ich rechne auch nicht damit, dass demnächst der Aufkleber ,Spiegel-Bestseller‘ das Cover zieren wird. Es ist klar, dass es kein Buch ist, das die breite Masse interessiert“, meint Flach. Vielmehr sei sein Projekt ein Zeitzeugnis, ein ­Geschenk für die Daheimgebliebenen, aber auch ein Angebot, mit dem Mythos aufzuräumen und die Perspektive zu wechseln. Das Buch solle zum Nachdenken anregen.

Dazu trägt auch der Text bei: Neben den Bildern stehen Zeilen aus Ballermann-Schlagern, Zitate aus Zeitungsartikeln, aber auch Kommentare von Menschen, die über die Arbeit an der Partymeile klagen, sowie Google-Rezensionen über die abgebildeten Lokale.

Simone Werner