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Dunkle Prophezeiung der Süddeutschen Zeitung

Stefan Fischer titelt in seinem Bericht über unser Buch „Ballermann5Uhr30“ eine unheimliche Prophezeiung: „Der Zapfhahn bleibt zu“

31. März 2021, Reisebuch zu Mallorca

Der Zapfhahn bleibt zu

„Hier ist der Himmel auf Erden, das letzte Paradies“, singt Jürgen Drews in seinem Party-Heuler „König von Mallorca“. In dem Mitgröl-Schlager huldigt er dem Ballermann, die Straßen dort mit all ihren Diskotheken, Kneipen, Biergärten, Wurstbuden und Tabledancebars nennt er schick und ein Zuhause. Als Motto gibt Drews aus: „Party feiern bis zum Morgen.“
Ein paar Straßenzüge in S’Arenal rund um die sogenannte Bier- und die Schinkenstraße, mit einem Streifen Strand davor, sind der Inbegriff der hemmungslosen Feierwut deutscher Urlauber. Bis vor einem Jahr galt: Der Ballermann ruht nie. Wenn die Party vorüber ist, sind die Hinterlassenschaften der Nacht unübersehbar: Betrunkene torkeln durch die morgendlichen Straßen oder schlafen am Strand ihre Räusche aus, inmitten des Mülls, den sie selbst produziert haben. Irgendwann wird dann aufgeräumt, und es geht von vorne los.
Diese Art des Tourismus hat viele Gegner auf der Insel. Der Fotograf Stefan Flach zitiert in seinem Band „Ballermann 5 Uhr 30“ deshalb nicht nur Jürgen Drews und andere Party-Profiteure, sondern auch Gegenstimmen wie die des balearischen Tourismusministers Iago Negueruela: „Wir wollen diese asozialen Touristen hier nicht haben. Sie sollen nicht kommen.“ Biel Barceló von der Bürgerinitiative Ciutat de s’Arenal pflichtet dem Politiker bei: Die Exzesse des Sauftourismus seien längst inakzeptabel, und man verstehe sich auch nicht als Freizeitpark für ausländische Touristen.

Durch die Pandemie hat die Party nun tatsächlich ein zumindest vorübergehendes Ende gefunden. Stefan Flach ist deshalb im vergangenen Juli nach Mallorca gereist, mitten in der eigentlichen Hauptsaison, und hat am Ballermann fotografiert, was es dort gemäß der Definition der vielen Ballermann-Fans gar nicht geben darf: Ruhe, Leere, Stillstand.

Flach hat für seine Aufnahmen die frühen Morgenstunden gewählt, wenn die Sonne zwar bereits aufgegangen ist, sich aber noch keine Passanten durch die Straßen bewegen. Er wollte die absolute Leere, das maximale Gegenteil der eigentlichen Bestimmung dieses Ortes, der vor allem ein Zustand ist, wie Flach in seinem Vorwort schreibt. Nicht einmal einen streunenden Hund sieht man auf den Bildern. Lediglich am Strand staksen ein paar Tauben und Möwen durch den Sand.

Stattdessen hat Stefan Flach verrammelte Türen, hochgestellte Stühle und heruntergelassene Rollgitter aufgenommen. Vor der Terrasse des Bierkönig-Bierhauses ist ein Maschendrahtzaun gespannt, der Bierkönig selbst sieht aus wie eine Lagerhalle. Keine Neonröhre blinkt, um für Sangria, Döner oder Oben-ohne-Bedienungen zu werben.
„Ohne die vielen Menschen wirkt der Ort grotesk, auf eine brutale Art entzaubert, enttarnt als billige Fassade“, schreibt Flach. Derart stillgelegt, strahlt der Ballermann tatsächlich nur Schäbigkeit und Tristesse aus. Nichts, was sich für die Bewohner von S’Arenal zurückzuerobern lohnte. Auch kein Ort, der besonders reizvoll wird, wenn man ihn für sich allein hat. Eine Geisterstadt, ganz ohne Geheimnisse.

Stefan Flach: Ballermann 5 Uhr 30. Weissmann Verlag, Köln 2020. 104 Seiten, 17,95 Euro.