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#zusammenlesen – Dorothea Renckhoff empfiehlt: Peter Rosenthal, Nachts nicht weit von wo

Durch das sehr dunkle Cover sollte man sich nicht abschrecken lassen, geht es hier doch um die Nacht – und als einziger kleiner Farbfleck leuchtet das Wort „Nachts“ grünlich aus dem Schwarzweißfoto des Titels. Das 2019 im Kölner Weissmann Verlag erschienene Buch versammelt Lyrik und kurze Prosatexte sowie Fotos zum Thema. Wer mit Blick auf die meisten Veröffentlichungen von Rosenthal annimmt, es handle sich um Impressionen und Momentaufnahmen aus Ehrenfeld, hat nur teilweise Recht. Am treffendsten ist die hier präsentierte reizvolle Mischung durch das Nach(t)wort charakterisiert: „Dieses Buch ist aus einer Inspiration entstanden deren Traumgebilde aus Ehrenfeld hinauswuchs und mit den Beiträgen von Autoren und Fotografen aus Köln, ganz Deutschland, Schweiz, Rumänien, Ungarn, Polen, Litauen, Irland, Iran und den U.S.A. eine Gestalt annahm die für Jedermann nicht weit – von wo eigentlich – sein könnte.“

Die Fotos – viele in Schwarzweiß, aber auch solche in Farbe – sind ohne Ausnahme von begeisternder Qualität (Bildredaktion Michael Weißmann – von ihm stammt das Gros der Aufnahmen – und Stefan Flach) und fesseln den Blick nicht nur sofort, sondern jedes für sich auf lange. Denn jedes erzählt eine ganze Geschichte. Ob es die vielen leeren Flaschen am Straßenrand sind (Stefan Flach), das trostlose Hotelzimmer mit Rosentapete und Rosendruck auf der Wäsche vom Stockbett (Adel Naseri), oder der kriegsversehrte Häuserstumpf mit den vermauerten Fensterlöchern neben der geschlossenen Druckerei, in fahles gelbes Licht getaucht (Burkhardt Schmidt), um nur drei Beispiele zu nennen: Alle saugen den Betrachter in sich hinein und schlagen ihn in Bann.

Nicht anders die Texte. Thematisch und stilistisch ist der Bogen ebenso weit gespannt wie die Topographie der Herkunftsländer ihrer Autoren. Da steht „Das letzte Rotlicht“, der heiter-ironische Rückblick auf einen einst bekannten Puff in direkter Ehrenfelder Nachbarschaft von Margit Hähner, in einer Reihe mit „Morgengrauen“, dem erschütternden Gedicht der in Polen geborenen, heute in U. S. A. lebenden Susanne Piontek, in einer Reihe mit einer gespenstischen Passage aus „Nachts unter der steinernen Brücke“ des Prager Dichters Leo Perutz. In einer Reihe mit einem Auszug aus dem erinnerungsirrlichternden Romanprojekt „Die Überlebenden“ der Schweizer Autorin Gabrielle Alioth, die heute in Irland lebt, in einer Reihe mit „Amca“, Peter Rosenthals Porträt eines herzkranken alten Weißclowns, in einer Reihe mit … mit… einer Vielzahl spannender Miniaturen, die jede eine Welt in sich tragen.

Es sind Texte und Fotos, die man vor dem Einschlafen genießen kann, die aber auch die Kraft haben, über Phasen der Schlaflosigkeit hinweg zu tragen. Dies Buch ist ein guter Begleiter durch schwarze Nächte. Dabei lässt Rosenthal uns nicht im Dunkel zurück: Die Nacht dauert bei ihm nicht ewig, am Ende kommen Dämmerung und Morgengrauen und mit ihnen die Erkenntnis, welche Vielschichtigkeit sich hier zwischen zwei Buchdeckeln zusammenfindet. Nicht zuletzt deshalb, weil viele der Fotografen und Autoren nicht einem einzigen Land zuzuordnen sind, sondern eher dem Land zwischen den Sprachen. Nicht umsonst zitiert Rosenthal im Titel Stefan Zweig, der auf die Bemerkung, das von ihm zum Exil gewählte Brasilien sei doch sehr weit weg, mit der Frage antwortete: Weit von wo?

Dorothea Renckhoff lebt als Autorin in Köln und schreibt Märchen, Opernlibretti und Romane.